Mordsviecher
Reptilien in der Hand. Doch eine Mamba war nicht dabei. Sie blickte auf die Uhr. Es war vier. Da sie keinerlei Lust hatte, mit Kathi zu diskutieren, griff sie nach dem Autoschlüssel und rief nur schnell über den Gang: »Ich fahr nach Oberammergau. Wenn ihr noch etwas erfahrt, ruft mich bitte an.«
Vor der Tür traf sie auf Frau Reindl mit ihrer Enkelin Sophia, die offenbar Kathi besuchen wollten. Na, vielleicht würde der nette Besuch ihre aufgebrachte junge Kollegin etwas besänftigen.
»Hallo, wie schön, euch zu sehen«, sagte Irmi.
Frau Reindl lächelte. Mit ihrer Präsenz zog sie einen sofort in den Bann. Dabei ruhte sie in sich und strahlte Gütigkeit aus. Immer wenn Irmi das Soferl sah, hoffte sie inständig, dass die Kleine von der Oma lernte. Die Chancen standen gut. Kathi war wenig zu Hause. Als Wochenend-Action-Mama war sie für die Zuckerl im Leben zuständig, für Ausflüge, für Party und Eisessen. Für coole Klamotten. Für den Alltag hingegen war die Oma zuständig. Sie wusste, dass Schulbusse auf verschlafene junge Damen nun mal nicht warteten. Sie war es, die dem Soferl vermittelte, dass man von Gummibärchen allein nicht leben konnte und dass es nun mal leider keine Heinzelmännchen gab, die die Hausaufgaben über Nacht erledigten. Die Oma lebte den Alltag, und auf den kam es im Leben vor allem an. Der Rest war Kür.
Kathi kam eher nach ihrem Vater, der jähzornig gewesen war, unbeherrscht und ungeduldig. Frau Reindl sprach wenig über ihren Mann, der früh gestorben war. Aber das wenige reichte, um herauszuhören, dass sie durch die Hölle gegangen war.
Das Soferl war clever. Wo Kathi tobte, agierte das Soferl mit charmanten Manipulationen. Sie gelangte lächelnd ans Ziel. Vielleicht kam sie auch nach ihrem Vater, von dem man gar nichts wusste. Ein damals achtzehnjähriger Bursche aus dem Dorf war das gewesen, der sich längst aus dem Staub gemacht hatte. Irgendwo in Österreich war er, das hatte Frau Reindl mal erzählt. Irmi war sich fast sicher, dass dieses Kapitel noch nicht vorbei war. Das Soferl würde ihn irgendwann einmal suchen, würde ihn sehen wollen. Omas Wurzeln hin oder her, für die ganz gewaltigen Orkanstürme bedurfte es weiterer Wurzeln.
Sophia war hübsch. Sie hatte Kathis große Augen, die vollen braunen Haare, sie war aber kein kantiger, überschlanker Typ, sie würde weicher werden, weiblicher. Schon jetzt war sie für ihr Alter ziemlich groß und gut entwickelt.
»Sophia, ich sag jetzt nicht: Bist du aber groß geworden.« Irmi lachte. »Aber es würde schon stimmen.«
»Das sagst du bloß nicht, weil das alte Tanten sagen würden. Und wer will schon eine alte Tante sein!« Das Soferl lachte und legte den Kopf schräg. Der gleiche Satz aus Kathis Mund wäre verletzend gewesen. Aus Sophias Mund klang das ganz reizend und wohlwollend.
Sophia duzte konsequent alle Menschen, die sie kannte. Das war im Gebirge auch so üblich, und wenn sie es tat, fühlte man sich fast auserwählt.
»Da hast du recht. Und wie geht’s dir so?«
»Och, wenn du die Schule meinst, ganz gut. Oder, Oma?«
»Na ja, ein bisschen besser könnten die Noten schon sein.«
»Mein Lehrer hat gesagt, er sei beruhigt, dass bei mir noch Luft nach oben sei. Das heißt, wenn’s echt knapp wird, lern ich mehr.« Und nur dann, besagte ihr Blick.
Frau Reindl rollte mit den Augen. »Bloß beim Chatten läuft die junge Dame nicht auf Sparflamme. Da reicht die Beharrlichkeit für Stunden.«
»Oma«, das klang tadelnd, »heutzutage musst du einfach bei Facebook sein, sonst bist du echt uncool. Ich muss doch mit meinen Freundinnen reden.«
Irmi verkniff sich einen Kommentar. Es galt ja schon als antik, wenn man »live« mit Menschen kommunizierte. Im Social Web konnten die Kids zu echten Plaudertaschen werden. Trafen sie sich aber draußen in der echten Welt, brachten sie die Zähne nicht auseinander. Bei ihrer Nachbarin Lissi war das mit den Buben so gewesen, totale Stockfische im Leben, im Web aber ausgesprochen eloquent.
Irmi verabschiedete sich von den beiden und wünschte dem Soferl noch viel Spaß am Wochenende, da sie wusste, dass Kathi mit ihr einen Ausflug zu einem Ritterturnier plante.
Während sie langsam aus Garmisch hinausrollte, ließ sie sich das Gespräch mit dem Gerichtsmediziner durch den Kopf gehen. Der Arzt hatte recht: Die Nobeldroge Kokain war auf dem Vormarsch und wurde immer raffinierter nach Europa eingeschleust, auf Trägersubstanzen wie Bienenwachs, Plastikabfällen oder
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