Mordsviecher
Schlangenmann entschwand mit einem »Wenn Sie mich brauchen – immer gerne!«.
Sie hoffte eigentlich, den Mann nicht mehr zu brauchen, auch wenn er ihr durchaus sympathisch war.
Als sie ins Büro kam, klebte ihr das T -Shirt am Rücken. Sie hasste diese feuchte Hitze, sie lebte doch in Bayern mit dem sprichwörtlich weiß-blauen Himmel und nicht in den Tropen! Aber der Himmel, der sich übers Oberland wölbte, war selten blau, und die Wolken zogen schon lange nicht mehr wie Schäfchenherden übers Firmament. Sie waren meist grau, bald anthrazit, und dann kamen später schwarze Wände auf sie zugewalzt. Nein, Bayern war auch nicht mehr das, was es mal war, nicht bloß wettertechnisch gesprochen.
Andrea saß an ihrem Schreibtisch und sah nicht sonderlich taufrisch aus. Wie Irmi gehörte auch sie zu jenen Frauen, denen die Wimperntusche verlief und die sich den Schweiß aus den Augen wischten, ohne dabei zu bedenken, dass heute so ein Alle-Jubeljahre-Tag war, an dem sie sich überhaupt Aufhübschungsmittel ins Gesicht gemalt hatten. Andrea hasste Seidenstrümpfe, hatte Laufmaschen, schon bevor sie die Packung geöffnet hatte. Andrea konnte auf Stöckelschuhen nicht gehen und in engen Röcken schon gar nicht. Andreas BH s, die ab und zu aus einer Bluse spitzten, waren praktische Sportsgesellen aus Baumwolle, keine neckischen Spitzenaccessoires wie die von Kathi. Die auf solche Dinger angesichts ihrer A -Cups auch ganz hätte verzichten können. Andrea bekam rote Backen, wenn’s heiß war und wenn sie sich aufregte. Andrea war kräftig und sportlich gebaut, Fett setzte sie an der Hüfte, am Allerwertesten und an den Oberschenkeln an. Kurzum: Andrea war wie sie keine Elfe, keine Fee, kein anämisches, blasses, sphärisches Wesen, sondern eine ganz normale Frau.
Wie trefflich ließ es sich doch übers Wetter oder Figurfragen philosophieren, wenn man sich von irgendetwas Unangenehmem ablenken wollte. Irmi hasste Pressekonferenzen, wobei hier nur einige Lokaljournalisten zu erwarten waren, die dankenswerterweise nicht ganz so investigativ waren. Und Blut troff auch nicht aus ihren Blättern. Wie hatte Tina Bruckmann gesagt? Das ist doch hier alles Festzeltromantik! So wollten das die Zeitungsverleger und Landräte am liebsten.
Bevor Irmi zur PK hinüberging, bat sie Andrea, sich über Veit Hundegger zu informieren. Und auch darüber, wer denn erben würde. Mord wegen eines zu erwartenden Geldregens war ja keine Seltenheit.
Andrea strahlte. Sie war die Königin der Suchmaschinen und Archive. Während sie draußen oft linkisch wirkte, war sie im Web brillant.
Irmi hatte sich mit Weilheim abgestimmt und sich zudem den Pressesprecher ausgeborgt, musste also nur die zweite Geige spielen. Die Rolle der Souffleuse wäre ihr lieber gewesen. Sie hatten eine klare Marschrichtung festgelegt: portionsweise Information abgeben, das Wort »Mamba« gänzlich unerwähnt lassen.
»Meine Damen, meine Herren, wir haben diesen Termin angesetzt, weil aus Ihren Reihen sicher der Wunsch besteht, Näheres über den Tod von Kilian Stowasser zu erfahren. Ich darf Folgendes bekannt geben: Kilian Stowasser, fünfundfünzig Jahre alt, wurde am Dienstag in Krün tot aufgefunden. Er befand sich auf einem landwirtschaftlichen Anwesen, das seiner Schwägerin gehört. Dort wurden Tiere unter katastrophalen hygienischen Bedingungen gehalten, darunter Pferde, Hunde, Kaninchen, Wellensittiche und Reptilien. Die Tiere wurden vom Veterinäramt beschlagnahmt und auf diverse bayerische Tierheime beziehungsweise auf die Reptilienauffangstation in München verteilt. Frau Dr. Blume vom Veterinäramt beantwortet Ihnen hierzu sicher alle Fragen. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz erhoben. Es liegt hier der Tatbestand des Animal Hoardings vor, Ihnen ja sicher auch bekannt als krankhaftes Sammeln von Tieren.«
»Und was hat Stowasser da gemacht? Auch Tiere gesammelt?«, kam die Frage von Radio Oberland.
Der Pressesprecher lächelte. »Das entzieht sich nach momentanem Ermittlungsstand unserer Kenntnis. Wir gehen aber davon aus, dass Herr Stowasser auf dem Anwesen Reptilien gehalten hat.«
»Und da hat ihn dann ein Skorpion gebissen?«, meinte einer lachend.
Irmi hatte nur darauf gewartet.
»Die Obduktion des Kilian Stowasser hat ergeben, dass er tatsächlich an der tödlichen Dosis eines Schlangengifts gestorben ist«, erwiderte der Pressesprecher und klang dabei so, als hätte er gesagt: Der Besuch im Supermarkt
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