Mordswald - Hamburgkrimi
und statt des Kännchenkaffees gab es eine große
Auswahl an Kaffeespezialitäten, die diesen Namen auch verdienten. Die massiven
Holzbalken waren hell lackiert und die dunklen, schweren Tische durch leichtere
Möbel ersetzt worden, was den Raum größer und städtischer wirken ließ. Die
röhrenden Hirsche an den Wänden waren Werken junger Künstler gewichen, die hier
die Möglichkeit hatten, ihre Arbeiten auszustellen. Am Wochenende und
gelegentlich auch donnerstags gab es Konzerte oder kleine Theateraufführungen
fernab des großen Kulturbetriebes. Unbekannte Künstler hatten hier die
Möglichkeit, zu zeigen, ob etwas in ihnen steckte. Die Waldschänke war auf dem
besten Weg, sich zu einem Geheimtipp in der Hamburger Kulturszene zu mausern.
Lina spürte den skeptischen Blick des Wirts, was sie ihm
nicht einmal verdenken konnte. Mit ihren gerade mal einsvierundfünfzig
Körpergröße wirkte sie wahrlich nicht imposant, und was ihr Äußeres anging, so
entsprachen verwaschene Jeans und zerknitterte T-Shirts nicht gerade der
landläufigen Vorstellung einer Ordnungshüterin. Zum Glück war das Tattoo auf
ihrer Schulter nicht zu sehen, und die neongrünen Strähnen im Haar hatte sie
längst übergefärbt – gleich nachdem sie zum Morddezernat gekommen war.
"Stell dir vor, du musst jemandem die Nachricht überbringen, dass ein
geliebter Angehöriger gestorben ist", hatte Hanno Peters noch am ersten
Tag zu ihr gesagt. "Da kannst du unmöglich so aufkreuzen. Also lass diesen
pubertären Unsinn in Zukunft bleiben." Im ersten Moment hatte Lina
geschäumt, doch wo Hanno Peters recht hatte, hatte er recht. Logischen
Argumenten konnte sie sich einfach nicht verschließen.
"Sind Sie der Eigentümer der Waldschänke?", fragte
sie Bertram, der sich ihr immer noch nicht vorgestellt hatte.
"Ja, Vogt, Bertram Vogt. Was kann ich für Sie tun?"
"Heute Morgen wurde hier in der Nähe die Leiche eines
Mannes gefunden. Er hatte eine Quittung von Ihrem Laden dabei, von gestern
Abend. Können Sie sich vielleicht an ihn erinnern?" Sie hatte das Foto von
Philip Birkner aus ihrem Rucksack geholt und hielt es Vogt hin.
"Deswegen also war heute Morgen hier alles voller
Polizei … Wo hat man ihn denn gefunden?"
Lina machte eine unbestimmte Geste in Richtung Wald. "Da
hinten, in der Nähe vom Bahndamm."
Bertram Vogt betrachtete das Foto und legte den Kopf schräg.
"Ich weiß nicht recht, ich kann mir Gesichter nicht besonders gut merken.
Könnte sein, dass er hier war. Aber ich stand sowieso hinterm Tresen, da
bekomme ich von den Gästen nicht viel mit."
"Und Ihre Angestellten? Sie waren gestern Abend bei dem
Konzert doch bestimmt nicht alleine."
"Nein, natürlich nicht, wir waren zu fünft, zwei hinterm
Tresen und drei Frauen an den Tischen. Jule und Sabrina müssten jeden Moment
kommen, Antje hat heute frei."
"Wer stand mit Ihnen hinterm Tresen?"
"Meine Frau, Ulrike. Sie hat heute ebenfalls frei."
"Gut, dann warte ich auf Ihre beiden Angestellten",
sagte Lina und schwang sich auf einen der Barhocker. "Und ich brauche eine
Adresse, wo ich die Dritte … hat Frau Antje auch einen Nachnamen? … und Ihre
Frau erreichen kann."
Bertram Vogt sah in einem Adressbuch hinterm Tresen nach und
nannte ihr das Gewünschte. Lina warf einen sehnsüchtigen Blick auf die
Espressomaschine, und der Wirt lachte. "Ich muss sie sowieso einschalten.
Möchten Sie einen Kaffee?"
Lina nickte. "Gerne. War es gestern Abend sehr
voll?"
"Wir waren nicht ausverkauft, aber es war ein guter
Abend." Der Mann machte sich an der Maschine zu schaffen. Das Mahlwerk
röhrte, als der Kaffee frisch gemahlen wurde, anschließend zischte es, als
Bertram Vogt die Leitungen einmal mit heißem Wasser durchspülte. "Was
wollen Sie haben? Espresso, Cappuchino, Latte macciato …"
"Einen Espresso bitte", unterbrach Lina ihn, ehe er
die gesamte Kaffeekarte herunterbeten konnte. "Gab es auch die
Möglichkeit, Karten vorzubestellen?"
"Ja, sicher. Das machen wir immer, schon allein, damit
wir besser abschätzen können, wie voll es wird. Obwohl wir noch nie vorher
ausverkauft waren."
"Kann ich die Liste mal sehen?"
"Sicher."
Er zog ein weiteres Buch hervor, einen Kalender diesmal, und
blätterte bis zum gestrigen Tag vor. "Hier." Anschließend widmete er
sich wieder Linas Espresso.
Gerade als er die kleine Tasse vor ihr auf den Tresen
stellte, hatte sie den Namen Birkner entdeckt, daneben eine Handynummer. Zwei
Karten waren auf diesen Namen vorbestellt worden. "Von wann ist
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