Mordswald - Hamburgkrimi
intensiv … und die zweite
Frau ist irgendwann weg. Das Pärchen bleibt allein übrig. Habe ich das soweit
richtig verstanden?"
"Die sind sogar zusammen gegangen. Ziemlich spät, sie
waren die Letzten. Und sie waren ziemlich angetrunken, alle beide."
"Die waren nicht angetrunken, die waren besoffen",
präzisierte Jule.
Lina blickte von einer zur anderen. Sabrina Prost zuckte die
Achseln. "Na gut, sie waren stark angeheitert." Dann grinste sie.
"Der Chef hört es nicht gerne, wenn seine Gäste besoffen sind. Passt nicht zum Ambiente ."
"Wann sind die beiden gegangen?"
Die beiden Frauen sahen sich an. "Wir waren um zwölf
hier draußen", erklärte Sabrina Prost schließlich. "Das heißt Tür zu
um halb. Das heißt kurz vor halb zwölf sind die beiden gegangen."
Jule Wollschütter nickte. "Gegangen worden",
ergänzte sie.
Lina schwieg kurz und sah auf die Notizen, die sie sich
gemacht hatte. "Haben Sie irgendwas von dem aufgeschnappt, worüber die
beiden sich unterhalten haben?"
Sabrina Prost schüttelte den Kopf. "Am Anfang war es
ziemlich stressig, weil ich ja auch die Tische von Antje mit übernommen hatte,
und später war ich woanders."
"Können Sie die Frau, die sich so gut mit dem Mann
verstanden hat, beschreiben?"
"Hm. Lange Haare, die sie aber hochgebunden hatte. Mausblond,
würde ich sagen. Vielleicht auch braun. Eher klein, jedenfalls kleiner als
er." Sie tippte auf das Bild.
"Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen? Trug sie
vielleicht eine Brille? Hatte sie irgendwelche Piercings? War sie
geschminkt?"
"Nein, ich glaube nicht. Sie sah ganz normal aus."
"Wieso, die hatte doch eine Brille, oder nicht? So eine
ganz unauffällige, mit Drahtgestell." Jule stützte sich auf den Tresen und
fuhr fort: "Und ihre Haare waren schwarz und mittellang. Sie hatte eine
Fleecejacke an, und Jeans. Und derbe Schuhe."
"Die hatte keine Brille, ganz bestimmt nicht."
"Doch, ich schwör's!"
Lina verdrehte die Augen. Zeugenaussagen waren ungefähr so
zuverlässig wie die Wettervorhersage für die nächste Woche.
"Wie alt ist die Frau etwa? Was schätzen Sie?"
"Dreißig vielleicht. Oder was meinst du, Sabrina?"
Ihre Kollegin nickte langsam. "Könnte hinkommen."
Lina notierte sich die Angaben der beiden Frauen, dann packte
sie den Block weg und rutschte vom Barhocker. Erstaunt blickten die beiden
Angestellten zu ihr herunter. Lina unterdrückte ein Grinsen und gab beiden eine
Visitenkarte. "Vielen Dank für Ihre Hilfe. Falls Ihnen noch etwas
einfällt, rufen Sie bitte an."
Als Lina draußen auf dem Parkplatz stand, begann ihr Magen zu
knurren. Sie überlegte kurz, ob sie zurückgehen und sich eine warme Mahlzeit
gönnen sollte, beschloss dann jedoch, dass ihr das als Frühstück zu viel war.
Sie sah auf die Uhr, dann auf ihren Block, in dem sie die Adressen von Ulrike
Vogt und Antje Niemann notiert hatte. Letztere wohnte ganz in der Nähe, und
Lina beschloss, auf gut Glück bei ihr vorbeizufahren und unterwegs an einer
Bäckerei anzuhalten.
Die Tüte mit dem Schokocroissant neben sich auf dem
Beifahrersitz, suchte sie kurz darauf in unmittelbarer Nähe des kleinen Waldes
nach der richtigen Hausnummer. Mehrgeschossige Rotklinkergebäude aus den
achtziger Jahren, dazwischen große Grünflächen, Parkplätze und diese
jämmerlichen Spielplätze, auf denen ein Kind eingehen musste wie eine
Sumpfblume in der Wüste. Lina stellte ihren Wagen an der Straße ab und schlug
den schmalen Fußweg ein. Die Nummer 5c war der letzte Eingang, der Name Niemann
stand auf dem obersten Klingelschild. Sie drückte auf den Knopf, aber nichts
geschah. Sie klingelte noch einmal. Schließlich nahm sie ihr Handy aus der
Tasche und tippte die Nummer ein, die Bertram Vogt ihr gegeben hatte. Während
das Freizeichen ertönte, sah sie sich um. Vom anderen Ende des Weges, von dort,
wo die kleine Fußgängerzone und das Tibarg–Center lagen, näherte sich
eine Frau mit einer Kinderkarre. Sie blieb stehen und begann in ihrer Tasche zu
wühlen. Im selben Moment, in dem sie ihr Handy aufklappte, hörte Lina eine
leicht heisere Stimme.
"Ja bitte?"
"Frau Niemann? Hier ist Lina Svenson von der
Kriminalpolizei Hamburg. Ich stehe gerade vor Ihrer Haustür."
Die Frau mit der Kinderkarre blickte auf. Ohne ein Wort
klappte sie das Handy zu und kam langsam näher. Der schwarze Minirock gab den
Blick auf lange, schlanke Beine frei, das enges Top und die fliederfarbene
Kunstlederjacke wirkten eine Spur zu aufgetakelt für einen
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