Mordswald - Hamburgkrimi
noch
alles in Ordnung war. Wenn die Tochter, so überlegte Lina weiter, dem Vater
nichts von diesem Treffen erzählt hat, welchen Zweck verfolgte sie dann damit?
Sie sprach die Frage laut aus. "Was wollen Sie eigentlich von mir?"
Katja Ansmann beobachtete, wie Lina erneut den Löffel zum
Mund führte, als bereue sie, für sich selbst nur einen Espresso bestellt zu
haben, den sie schon längst ausgetrunken hatte. "Ich wollte Sie um einen
Gefallen bitten", sagte sie schließlich leise.
Aha, da kommen wir der Sache schon näher, dachte Lina. Sie
merkte, wie schwer es der anderen fiel, sie um etwas zu bitten, legte den
Löffel beiseite und sah Katja Ansmann aufmerksam an.
"Ich möchte Sie bitten, auf Ihren Vater einzuwirken,
damit er über sein Wissen Stillschweigen bewahrt."
"Wie bitte? Wie kommen Sie darauf, ich hätte irgendeinen
Einfluss auf meinen Vater?"
"Aber … er hat doch mit Ihnen über die Lage unserer
Familie gesprochen, deshalb ging ich davon aus …"
Lina konnte nicht anders, sie musste einfach lachen.
Anscheinend glaubte diese Frau, sie und ihr Vater säßen in trauter Zweisamkeit
zusammen und würden sich über die Geheimnisse der Hamburger Stadtelite
austauschen? Sie sah Katjas entgeistertes Gesicht und schüttelte den Kopf. Sie
schlug eine Hand vor den Mund, aber es half nichts. Immer wieder hatte sie das
Bild von dem einzigen Treffen mit ihrem Vater vor Augen, er im feinen,
distinguierten Zwirn, sie als Vollblutpunkerin, wie sie zusammen auf dem
Friedhof Ohlsdorf Ränke schmiedeten. Schließlich beruhigte sie sich wieder und
wischte sich die Tränen aus den Augen. "Tut mir leid", sagte sie,
immer noch grinsend, "aber ich hoffe, Sie haben gemerkt, wie absurd diese
Vorstellung ist." Sie schüttelte den Kopf. "Wie sind Sie bloß auf die
Idee gekommen, mein Vater und ich könnten so ein enges Verhältnis zueinander
haben?"
Katja Ansmann wirkte leicht pikiert über Linas Lachanfall,
doch eine gewisse Neugier in ihrem Blick war ebenfalls nicht zu übersehen.
"Ihre Schwester deutete so etwas an", sagte sie. "Oder besser,
Ihre Halbschwester. Johanna Ansmann ist eine gute Freundin von mir", fügte
sie erklärend hinzu.
"Ach", sagte Lina, "und wie kommt Johanna
Steinhagen auf diese Idee?"
Katja Ansmann musterte Lina, inzwischen eindeutig
interessiert. "Wissen Sie, dass Sie und Johanna sich schon einmal begegnet
sind?"
Lina nickte. "Sie meinen dieses hamburgweite
Schülertreffen."
Katja Ansmann nickte ebenfalls. "Johanna hat damals zu
Hause erzählt, dass sie in Hamburg offensichtlich eine Doppelgängerin hatte,
vermutlich fiel dabei auch Ihr Name. Damals hat sie es gar nicht gemerkt, aber
Meinhart Steinhagen muss daraufhin geahnt haben, dass er noch eine Tochter
hatte, von der er bis dato nichts gewusst hatte. Jahre später stieß Johanna
zufällig auf eine Akte mit Ihrem Namen, in der Ihr Vater Informationen über Sie
gesammelt hatte – beginnend kurz nach jenem Schülertreffen." Katja
Ansmann griff nach ihrer Espressotasse, stellte enttäuscht fest, dass sie immer
noch leer war, und bestellte sich ein Mineralwasser. "Sie hat mir davon
erzählt. Sie hatte diese Begegnung mit Ihnen längst vergessen, aber als sie die
Akte sah, fiel ihr alles wieder ein, ohne dass es ihr irgendetwas bedeutet
hätte. Sie hatte eine Halbschwester, na und? Johanna ahnte schon lange, dass
ihr Vater es über die Jahre mit der ehelichen Treue nicht allzu genau genommen
hatte, und dass es irgendwo noch weitere Kinder von Meinhart Steinhagen gab,
hatte sie sich schon längst ausgerechnet." Der Kellner brachte ihr
Mineralwasser, und Katja Ansmann wartete, bis er wieder verschwunden war.
"Vor ein, zwei Jahren hörte Johanna zufällig mit, wie ihr Vater mit Ihnen
telefonierte. Er nannte Sie 'Liebes'. Zuerst glaubte sie, er würde mit seiner
Geliebten telefonieren, aber dann fiel Ihr Name, und Johanna schloss daraus,
dass Sie und Ihr Vater in Kontakt stehen, und dass Sie sich zudem sehr
nahestehen müssen." Sie machte eine Pause. "Johanna hat er noch nie
'Liebes' genannt."
Lina wurde zunehmend unbehaglicher zumute. Ihr Vater hatte
Informationen über sie gesammelt? Seine erste Tochter, mit der er
zusammenlebte, bedachte er im Gegensatz zu ihr niemals mit diesem bescheuerten
Kosenamen? Sie hatte das Gefühl, in einem Spiel mitzuspielen, dessen Regeln sie
nicht kannte – und in dem sie nur der Spielball war. Ihr fröstelte. Eine
ganze Weile starrte sie schweigend auf den kalt gewordenen Milchschaum auf dem
Glas vor sich, bis sie
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