Mordswald - Hamburgkrimi
Fischer zögerte kurz, sie war sich der möglichen
Tragweite ihrer Anschuldigung sehr wohl bewusst. "Daniel Vogler",
sagte sie schließlich, nur um rasch hinzuzufügen: "Ich meine, wer bleibt
denn sonst noch übrig? Philip wird wohl kaum seine eigene Firma ruiniert haben,
und wenn Frank es nicht war, bleibt nur noch Daniel. Das waren die einzigen
Informatiker bei Inoware ,
die Zugang zu der Programmdatei hatten."
"Und Herrn Vogler trauen Sie, im Gegensatz zu Herrn
Jensen, zu, Industriespionage in diesem Ausmaß betrieben zu haben?
Warum?", fragte Lina neugierig.
Tanja Fischer runzelte nachdenklich die Stirn. "Gute
Frage. Ich mochte ihn nicht, im Gegensatz zu Frank, er war total überheblich
und wusste alles besser. Es schien ihm völlig egal zu sein, was andere Menschen
von ihm denken, und er konnte ziemlich schroff sein." Sie zuckte die
Achseln. "Eigentlich ein ziemlicher Kauz, superintelligent, ein totaler
Computernarr – aber sozial eine absolute Katastrophe."
Auf dem Weg zum Polizeipräsidium dachte Lina über das nach, was
sie gerade erfahren hatte. Tanja Fischer hatte ihre Einschätzung bestätigt,
dass Philip Birkner beileibe nicht der nette Junge von nebenan gewesen war, den
alle anhimmelten. Eher ein Mann, der seinen Charme berechnend einsetzte, um zu
bekommen, was er wollte – und wenn er von jemandem nichts wollte, diesen
Menschen links liegen ließ. Ein Mann, der bei Frauen offensichtlich gut ankam –
und der sich möglicherweise auch nicht darum scherte, ob die Frau mit einem
anderen zusammen war oder nicht? Vielleicht hat ihm jemand übelgenommen, dass
er sich an dessen Frau herangemacht hatte? Mord aus Eifersucht? Es wäre nicht
der erste in der Geschichte der Menschheit.
Vor einer roten Ampel biss Lina von dem Brötchen ab, das sie
sich unterwegs gekauft hatte. Ihre Gedanken wanderten zu dieser Geschichte mit
dem Datenklau. Wieso eigentlich hatte Philip Birkner damals sofort Frank Jensen
beschuldigt? Hatte er jemals in Betracht gezogen, dass es ja auch dieser andere
Kollege, Daniel Vogler, hätte sein können? Dass Philip Birkner es selbst
gewesen war, wie Jensen angedeutet hatte, hielt sie, genau wie Tanja Fischer,
eher für unwahrscheinlich. Die eigene Firma, die offenkundig glänzende
Aussichten hatte, sich zur Goldgrube zu entwickeln, zu ruinieren, um durch
Industriespionage Geld zu verdienen – und das alles mit einer reichen
Freundin im Hintergrund? Lina schüttelte den Kopf. Nee, das war absoluter
Blödsinn.
Als sie in Eppendorf im Stau stand, fiel ihr ein, dass Lukas
Birkner irgendwo hier in der Nähe sein Büro haben musste. Sie schlug die
Adresse in ihrem Notizblock nach, bog zweimal rechts ab und parkte kurz darauf
in einer kleinen Seitenstraße. Vielleicht konnte sie von ihm doch noch etwas
mehr über die Freunde und vor allem Freundinnen seines Bruders erfahren.
In dem kleinen Ladengeschäft, das Lukas Birkner als Büro
diente, brannte Licht. Das Wort Generalagentur und Birkners Name waren in
schlichter Schrift an die Scheibe geklebt, dazu das Logo eines großen
Versicherungskonzerns. Der erste Raum diente als Empfangsbereich, eine Tür
führte in ein Hinterzimmer, eine zweite in ein weiteres Büro, das ebenfalls zur
Straße hin lag. Alles machte einen düsteren und verbrauchten Eindruck, was an
den dunklen Büromöbeln liegen mochte, oder auch an dem abgewetzten grauen
Teppich, auf dem man noch genau sah, wo vor etwa drei Jahren die Schreibtische
gestanden hatten. Im ersten Raum saß eine gepflegte Frau, die Lina auf Anfang dreißig
schätzte, an einem Computer und tippte etwas ein. Sie war blass und hatte
dunkle Ringe unter den Augen, als hätte sie in der letzen Zeit nur wenig
geschlafen. Ihr grauer Pullover und der schwarze Rock legten die Vermutung
nahe, dass sie Philip Birkner recht gut gekannt hatte.
Als Lina eintrat, blickte sie auf und sagte: "Tut mir
leid, wir haben geschlossen."
Lina stellte sich vor und fragte, ob Lukas Birkner zu
sprechen sei.
"Mein Mann ist kurz weg zu einem Kunden." Die Frau
seufzte. "Der hat sich nicht abwimmeln lassen, trotz der Geschichte mit
Philip." Sie lächelte fast entschuldigend. "Und ich nutze die
Gelegenheit, um ein bisschen von dem abzuarbeiten, was im Urlaub liegen
geblieben ist. Wenn man selbständig ist, nimmt niemand Rücksicht, ob es einen
Trauerfall in der Familie gibt oder nicht." Ihr jammernder Tonfall schien
ihr selbst aufzufallen, denn sie richtete sich leicht auf und sagte: "Kann
ich Ihnen vielleicht weiterhelfen?
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