Mordswald - Hamburgkrimi
schrie der Patient noch lauter,
ohne dass auch nur ein artikulierter Laut herauskam.
"Was haben Sie mit ihm angestellt?", wollte die
Krankenschwester wütend von Max wissen, der beschwichtigend die Hände hob.
"Ich? Aber ich …"
"Halten Sie den Mund und verschwinden Sie! Was haben Sie
hier überhaupt verloren?"
Ein weiterer Mann, offensichtlich ein Arzt, und noch eine
Krankenschwester kamen hektisch ins Zimmer gerannt. Max wurde zur Seite
gedrängt, zu viert stürzten sie sich auf Hinrichsen, der sich aus Leibeskräften
wehrte und mit aller Kraft um sich trat und schlug. Max stand stumm daneben und
fühlte sich hilflos. Seine Stärke war die Stille, doch gegen diese Übermacht
konnte er nichts ausrichten. Er beobachtete, wie der Arzt dem außer sich
geratenen Mann eine Spritze gab, woraufhin Hinrichsen erschlaffte und auf dem
Bett zusammensank. Aus seinem Brüllen wurde Schreien und schließlich ein
verzweifeltes Greinen, das Max erneut an ein Kind denken ließ. Schließlich
schlief er ein. Die plötzliche Stille war betäubend. Alle richteten sich
langsam wieder auf, strichen ihre Kleidung glatt und die Haare zurück.
"Sie sind ja immer noch hier", sagte die erste
Krankenschwester, die, wie Max erst jetzt auf ihrem Namensschild las, ebenfalls
Ärztin war. "Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht? Sie …"
"Ist schon gut, Rita, ich kümmere mich darum",
unterbrach der Arzt sie. Die Krankenschwester und der Pfleger verschwanden
stumm, während die Ärztin noch eine Sekunde lang mit zusammengekniffenem Mund
vor Max stehen blieb, ehe sie wütend schnaubend davoneilte.
Der Arzt holte vernehmlich Luft, wischte sich mit dem Ärmel
seines Kittels übers Gesicht und nickte Max zu, ohne zu lächeln. "Dr.
Schubert. Ich habe den Patienten heute Morgen aufgenommen und seine Wunde
genäht." Er war hochgewachsen, hatte dichtes, blondes Haar und blaue
Augen. Seine Haut war blass, und er sah müde aus, als hätte er schon eine längere
Schicht hinter sich, als gut für ihn und die Patienten wäre. "Sind Sie ein
Angehöriger?"
Max schüttelte den Kopf. "Nein." Er stellte sich
vor. "Ich ermittle in einem Mordfall. Herr Hinrichsen ist ein wichtiger
Zeuge."
Der Arzt warf einen Blick auf den schlafenden Mann.
"Der? Na, mit dem werden Sie noch viel Spaß haben." Er gähnte hinter
vorgehaltener Hand. "Wissen Sie, ob es irgendwelche Angehörigen gibt? Oder
einen Betreuer?"
"Keine Ahnung." Max betrachtete ebenfalls Niels
Hinrichsens entspanntes Gesicht. "Was passiert jetzt weiter mit ihm?"
"Jetzt wird er erst einmal schlafen." Der Arzt
schaute auf seine Armbanduhr. "Mindestens bis morgen früh. Dann wird man
weitersehen."
"Aber von seinen Verletzungen her …"
Dr. Schubert winkte ab. "So eine Platzwunde ist ein
Klacks. Blutet wie Hölle, ist aber harmlos, solange sie ordentlich versorgt
wird und sich nicht entzündet. Wenn's danach ginge, könnte er heute schon
wieder raus."
Max hörte das Aber, das der Mann nicht aussprach und sah ihn
an. Der Arzt sah erneut zum Bett hinüber. "Aber Sie haben's ja erlebt. Ich
würde ihn ungern einfach so gehen lassen."
Max fiel noch etwas ein. "Wo ist eigentlich seine
Kleidung?"
Der Arzt wollte gerade gleichgültig die Schultern heben, doch
dann fiel ihm etwas ein. Er ging zu dem schmalen Spind neben dem Waschbecken,
öffnete die Tür und deutete auf einen grünen Plastiksack. Max wehte eine Wolke
verbrauchten Lebens entgegen.
"Die muss ich mitnehmen", erklärte er. "Für
die Spurensicherung." Auf das unwillige Stirnrunzeln des Arztes hin fügte
er hinzu: "Sie bekommen selbstverständlich eine Quittung dafür."
Der Arzt zuckte die Achseln. "Tun Sie, was Sie nicht
lassen können. Aber vielleicht sollten Sie ihm Ersatzkleidung besorgen."
Er gähnte erneut.
Der Mann tat Max leid. Trotz seines vorgeblichen
Desinteresses machte er den Eindruck, als würde er sich gerne mehr Zeit für
seine Patienten nehmen, als sein Dienstplan zuließ. Max nickte und sagte:
"Ich kümmere mich darum." Er schaute noch einmal zu Niels Hinrichsen
hinüber. "Ich komme morgen früh wieder."
Dr. Schubert nickte nur müde.
Die Zeugin, die sich unversehens als mögliche Tatverdächtige
entpuppte, schien mit den Nerven völlig am Ende zu sein. Lina stellte eine
Flasche Mineralwasser und eine kleine Packung Erdnüsse auf den Tisch vor ihr.
Franziska Leyhausen putzte sich die Nase, trank von dem Wasser und nahm nach
anfänglichem Zögern auch ein paar Erdnüsse.
Nach einiger Zeit hatte sie sich wieder
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