Mordswald - Hamburgkrimi
Kollegen sagen, was sie wollten, aber Lina glaubte
nicht, dass die Biologin etwas mit Philip Birkners Tod zu tun hatte. Na ja, so
ganz stimmte das natürlich nicht, denn wenn sie nicht vorgeschlagen hätte, im
Wald spazieren zu gehen, wenn sie ihm nicht einen Tritt in die Eier verpasst
und ihn anschließend auf dem nassen Waldboden allein zurückgelassen hätte,
würde Birkner heute vermutlich noch leben. Aber Lina konnte sich nicht
vorstellen, dass Franziska Leyhausen diejenige war, die Birkner erschlagen hatte.
Sie schaute auf die kleine Uhr am Computer. 8:27 Uhr. Der
Streifenwagen müsste sich demnächst melden.
Linas Gedanken wanderten zu Katja Ansmann. Für sie stand die
Frau noch immer auf der Liste der Verdächtigen, nicht zuletzt, weil der
Polizeipräsident persönlich die Ermittlungen blockierte. Mit der
Lebensversicherung hatte Katja Ansmann mindestens einen Grund, ihren
Lebensgefährten lieber tot als lebendig zu sehen. Und wer weiß, vielleicht
hatte sie ja sogar mit diesem Datendiebstahl etwas zu tun. Sie stiftet Jensen
oder Vogler dazu an, ein Einfallstor in die Software einzubauen und stellt den
Kontakt zur Konkurrenzfirma Markman Solutions her, wenn er nicht bereits bestanden hatte.
Philip Birkner kommt zwei Jahre später dahinter, woraufhin sie ihn um die Ecke
bringen lässt.
Mit frischem Schwung tippte Lina den Namen der Markman Solutions in die Suchmaske des Polizeiservers ein. Bingo! Gegen die Firma wurde bereits
ermittelt, wegen des Verdachts auf Industriespionage, was bei näherer
Betrachtung aber nicht weiter erstaunlich war. Lina überflog die knappen
Informationen, die wenig mehr hergaben als die Hinweise, dass die geschädigte
Firma Wesseling
& Kröger vor zwei Jahren Anzeige gegen das Konkurrenzunternehmen
erstattet hatte und dass seitdem ermittelt wurde. Als Kontakt wurde eine PHK
Marita Schön angegeben, dazu die Durchwahl. Lina griff zum Hörer und drückte
die Tasten.
"Schön", meldete sich eine helle Stimme. Lina
musste lächeln. Wie nett, jeden Menschen auf diese Weise begrüßen zu können.
Sie stellte sich vor, erklärte der Kollegin, worum es ging, und nannte die
Aktennummer des Falls.
"Moment bitte", hörte sie, dann das Klappern einer
Computertastatur. "Da, ich hab's. Markman Solutions , es geht um einen vermuteten
Patentdiebstahl. Was genau möchtest du da wissen?"
"Wurde überprüft, ob die Firma Markman Solutions Zahlungen an die
Unternehmensberatung Ansmann geleistet hat?"
"Puh." Marita Schön stieß vernehmlich die Luft aus.
"Wir haben bergeweise Unterlagen gesichert, aber noch lange nicht alles
durchgearbeitet." Lina hörte erneut Tippgeräusche. "Ich sitze mehr
oder weniger allein daran, und zwar nicht nur an dem Fall, und so eine
Fleißarbeit kann Jahre dauern. Ah, warte. Ansmann. Tatsächlich, die Firma
taucht als Geschäftspartner des Unternehmens auf. Moment." Der Hörer wurde
weggelegt, und Lina hörte leise Radiomusik im Hintergrund. Es dauerte eine
ganze Weile, und Lina tippte ungeduldig mit dem Stift auf ihren Notizblock.
Schließlich meldete sich Marita Schön wieder. "Ich habe gerade die Kopien
der Rechnungen vorliegen. Die Unternehmensberatung Ansmann hat der Firma Markman Solutions vor eineinhalb Jahren zwei Rechnungen in Höhe von jeweils zehntausend Euro
gestellt."
"Kannst du aus deinen Unterlagen erkennen, wofür die das
gezahlt haben?" Zwanzigtausend Euro waren zwar nicht die Welt, aber
vielleicht war das auch nicht alles.
Dezentes Papierrascheln. "Allgemeine Beratertätigkeit,
Erstellung eines Profils, Mitarbeiterschulung auf Abteilungsleiterebene … Also,
das klingt alles sauber. Wäre ich jetzt nicht unbedingt darüber gestolpert. Was
habt ihr denn mit der Geschichte zu tun?"
"Die Geschäftsführerin der Unternehmensberatung war mit
dem Inhaber der Firma zusammen, die für das Loch in der Software verantwortlich
war, Philip Birkner. Der Tote im Niendorfer Gehege, das ist er."
"Ach ja, Birkner", sagte Marita Schön, "dem
Namen bin ich hier auch schon begegnet. Und der ist jetzt tot? Der
Ärmste." In ihrer Stimme klang ehrliches Bedauern mit, und Lina versuchte,
sich die Polizistin vorzustellen, die noch so viel Mitgefühl für ein einzelnes
Opfer aufbrachte. Vermutlich war sie eine eher stille, unauffällige Frau,
leicht pummelig, Brille, mit Hang zur Graumausigkeit, die sich gerne hinter
ihrem Schreibtisch versteckte und liebend gerne in staubigen Aktenbergen wühlte.
Lina blickte auf die eingekringelte 20.000 vor sich auf dem
Notizblock.
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