Mordswald - Hamburgkrimi
Birkner doch gar nicht."
"Aber er hat auf diese Pflanze, den Aronstab gekotzt.
Das hat Hinrichsen wütend gemacht."
"Und deswegen schlägt er Birkner tot? Tolles
Motiv", spottete Alex. "Das lässt uns doch kein Richter durchgehen.
Mord aus Rache über die Verunreinigung einer Pflanze."
Lina gab zu, dass es abwegig klang, aber Niels Hinrichsen
lebte in einer anderen Welt, und vermutlich galten für ihn auch andere
Wertvorstellungen. Wer weiß, vielleicht schätzte er das Leben einer Pflanze
genauso hoch wie das eines Menschen.
Die Ampel sprang auf Grün, und Alex gab Gas. "Hanno
meint, wir sollen trotzdem versuchen, mehr über diese Sache von damals
rauszufinden. Alte Zeugen auftreiben, Freunde von Birkner und Vogler, ehemalige
Schulkameraden. Sicher ist sicher", fügte er hinzu, obwohl ihm anzumerken
war, dass seiner Meinung nach der Fall so gut wie gelöst war.
Lina dachte an ihren Besuch bei Sonja Birkner, den sie fast
schon vergessen hatte. "Dann sollten wir noch mal mit Birkners Bruder und
seiner Schwägerin sprechen. Sie waren auf derselben Schule wie Philip, beide
nur eine Klasse unter ihm. Vielleicht wissen die etwas."
Max stand vor einem schmucklosen, zweigeschossigen Wohnblock
einer Baugenossenschaft in Lockstedt, nur wenige Querstraßen vom Niendorfer
Geheges entfernt. Hier lebte Niels Hinrichsen laut Auszug aus dem Melderegister
seit dem Tod seiner Mutter allein in einer Zweizimmerwohnung. Er zog den
Schlüssel aus der Tasche, den er zwischen den persönlichen Sachen von Niels
Hinrichsen gefunden hatte, und schloss die Haustür auf. Im Treppenhaus roch es
nach Putzmitteln, der Boden sah aus, als sei er gerade erst frisch gewischt
worden.
Er stieg hinauf in den ersten Stock. Auf der Fensterbank auf
dem Treppenabsatz stand ein Blumentopf mit Geranien, daneben eine Gießkanne. Im
ersten Stock gab es drei Wohnungstüren, alle mit einheitlichen Namensschildern
der Wohnungsgesellschaft. Niels Hinrichsen bewohnte die mittlere Wohnung.
Als Max die Tür öffnete, schlug ihm ein muffiger Geruch
entgegen. Die Wohnung wirkte düster und verwohnt, ganz offensichtlich hatten die
Wände schon seit Jahrzehnten keine frische Farbe mehr gesehen. Die gesamte
Wohnung war mit grauem Linoleum ausgelegt, nur im Wohnzimmer lag ein
abgewetzter Teppich, sonst nirgends, nicht einmal vor dem Bett oder im
Badezimmer. Die Vorhänge an den Fenstern stammten den Mustern nach zu urteilen
aus den siebziger Jahren und waren somit schon wieder modern. Im Wohnzimmer
bildeten ein Sofa, zwei Sessel und eine Kommode mit Fernseher die einzigen
Einrichtungsgegenstände. An der Wand hing ein Ölschinken, Motiv röhrender
Hirsch, beim Sofa war die rechte Ecke auffällig durchgesessen, vermutlich der
Lieblingsplatz von Niels Hinrichsen, von dem er den besten Blick auf den
Fernseher hatte. Links auf dem Sofa lag eine ordentlich zusammengelegte
karierte Wolldecke. Die winzige Küche war nicht mehr als eine Kochnische und
ging vom Wohnzimmer ab. Es war leidlich aufgeräumt und sauber, auf der
Arbeitsplatte der uralten Einbauküche stand ein benutzter angeschlagener
Teller, daneben lag ein Frühstücksmesser mit einem Rest Margarine. Der Boden
war fleckig und mit Krümeln übersät. Im Schlafzimmer stand ein altes
Doppelbett, von dem nur die eine Hälfte bezogen war. Die Bettwäsche war schon
länger nicht mehr gewechselt worden und verströmte den stechenden Geruch von
Schweiß und Einsamkeit.
Langsam ging Max von einem Raum zum nächsten und versuchte,
sich in den Menschen einzufühlen, der hier zu Hause war.
Im Schlafzimmer öffnete er den Kleiderschrank und fand
ordentlich aufgehängte, saubere Hosen und Hemden sowie zusammengelegte Pullover.
Im unteren Fach fand er zwei Paar Schuhe Größe 43 und in den Schubladen
Unterwäsche und Strümpfe. Er sah sich nach einer Tasche um und entdeckte auf
dem Schrank eine alte, eingestaubte Reisetasche, in die er etwas von der
sauberen Kleidung packte, um sie Niels Hinrichsen ins Krankenhaus zu bringen.
Auf einem Regal im Wohnzimmer fand er einen dicken Bildband, 2000 Pflanzen in
Wort und Bild . Das Buch war alt, vielleicht aus den siebziger Jahren des
letzten Jahrhunderts, die Bilder waren blaustichig und die Seiten vergilbt. Es
war regelrecht zerlesen, manche Seiten waren mit abgerissenem Zeitungspapier
markiert, andere hatten Eselsohren.
Die Schränke in der Küche förderten nichts Interessantes
zutage. Abgepacktes, in Scheiben geschnittenes Brot, Margarine, im Kühlschrank
Käse und Salami.
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