Mordwoche (German Edition)
bekommen und dann Bewusstseinstrübungen. Wenn die Dosis von Anfang an hoch war, könnte die Frau auch gleich bewusstlos geworden sein. Genaueres weiß ich aber erst nach der Obduktion. Eins kann ich dir aber jetzt schon sagen. Der Motor lief bis zum Schluss, der Tank ist leer und der Schlüssel steckt noch in der Zündung.“
Als Anfangsverdacht reichten diese Informationen allemal aus, um weitere Untersuchungen einzuleiten. Der Hauptkommissar warf einen letzten Blick auf die Tote. Eine gepflegte Erscheinung, dunkelbraun gefärbte Haare, dezentes Make-up, geschmackvolle Garderobe. Das erkannte selbst Georg Haller. Der Leichenwagen fuhr vor. Jetzt fiel es ihm auch ein, woher er den Käfer kannte. So einer stand im Show-Room des Autohauses Merz. Georg Haller war schon mehrmals am Sonntag zu dem Autohändler gefahren, um sich nach einem Nachfolger für seinen Uralt-Opel umzusehen. Bislang hatte er es bei einem Umschauen auf dem Hof bewenden lassen. Beim Blick durch die Scheibe hatte er auch die Raritäten des Hauses bewundert. War die Tote im Auto etwa die Senior-Chefin Elfi Merz? Georg Haller war sich nicht sicher; Frau König würde ihm bestimmt helfen können. Der Hauptkommissar ging noch einmal zurück in den Salon, der mittlerweile geöffnet hatte.
- 5 -
„Stille Nacht“ in Endlosschleife. Klavier und Blockflöte und immer derselbe Fehler. Und dann wieder von vorne. Katrin hing der ganze Weihnachtszirkus zum Hals raus und wenn ihr Vater es sich nicht so gewünscht hätte, müsste dieses Familientreffen ihretwegen nicht stattfinden. Die Feiertage waren schon in der eigenen Familie stressig genug. Die Anspannung der Kinder und die Vorfreude auf die Bescherung waren bereits derart gestiegen, dass sie jetzt nicht einmal mehr dieses verdammte Lied fehlerfrei hinbekamen. Die achtjährige Marie und ihr zwei Jahre jüngerer Bruder Lukas gaben mit geröteten Backen ihr Bestes, wurden allerdings bei jeder Wiederholung unsicherer.
„Mensch, jetzt reißt euch doch mal zusammen, das kann doch nicht so schwer sein!“ Katrin riss der Geduldsfaden. Ein bisschen mehr Konzentration erwartete sie schon von ihren Kindern. Sie wollte sich heute Nachmittag auch den oberlehrerhaften Kommentar ihrer Mutter, über den Erfolg des Musikunterrichts der Enkel ersparen. Katrin konnte es schon nicht mehr hören. Die ständige Besserwisserei und Selbstbeweihräucherung gingen ihr furchtbar auf die Nerven. Die Kinder merkten, dass die Nerven ihrer Mutter heute blank lagen. Und so gaben sie keine Widerworte, sondern begannen das Stück von vorn. Lukas konnte die Tränen in den Augen allerdings nicht verbergen.
Katrin seufzte, wenigstens ihre beste Freundin Claudi verstand sie. Nach langer Zeit waren sie gestern Abend endlich mal wieder bei so einem richtigen Mädels-Kneipen-Abend versumpft und Katrin hatte sich den Ärger mit ihrer Mutter von der Seele schimpfen können. Claudi kannte Frau Merz, sie war zu Schulzeiten oft im Hause Merz zu Gast und hatte gelegentlich selbst die spitze Zunge der Hausherrin zu spüren bekommen.
Ob sie ihrer Mutter wirklich so direkt ihre Meinung sagen sollte, wie es ihr Claudi geraten hatte? Schon etwas angeheitert hatte diese ihre Freundin aufgefordert, den ganzen Frust einfach mal rauszulassen. Da stand Katrin dann gestern Nacht auf der Straße und hat es probiert. Die beiden Freundinnen haben Schneebälle an Hauswände geworfen, die verschneiten Autos mit obszönen Zeichnungen verziert und ordentlich vor sich hin geschimpft. Der ganze Spaß endete damit, dass sie sich mitten auf dem Marktplatz in den frisch gefallenen Schnee plumpsen ließen und Schnee-Engel produzierten.
Das Erwachen am Morgen danach war ernüchternd. Katrin hatte Kopfschmerzen, der rechte Ärmel ihres Mantels war bei den Kritzeleien auf den verschneiten Autos eingerissen und der Besuch bei den Eltern rückte immer näher. Katrin ärgerte sich über den zerrissenen Mantel, das war ihr der Spaß dann doch nicht wert. Jetzt versuchte sie, das Loch so gut es ging zu flicken. Lukas Flötenton wurde immer fiepsiger, aber der Junge kämpfte sich tapfer durch das Lied. Er wollte nicht auch noch Ärger mit seiner großen Schwester bekommen, wenn er den Nerven seiner Mutter jetzt den Rest gab und heulend abbrach.
Draußen in der Diele ging die Haustür auf, Frank Ohler kam aus der Stadt zurück. Wie jedes Jahr hatte er es nicht rechtzeitig geschafft, ein Weihnachtsgeschenk für seine Frau zu besorgen und so war es
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