Mordwoche (German Edition)
Alex erst einmal da waren, wollte Katrin die Kleiderfrage geklärt wissen. Nur ungern unterbrachen die Kinder ihr Spiel, sie hätten sich für heute gewiss ein anderes Programm gewünscht als die Beisetzung ihres Großvaters.
„Ist das Leberkäse, was da so gut duftet?“ Susanne ließ sich von Alex aus dem Mantel helfen und schnupperte mit der Nase in Richtung Küche. „Ich hoffe, ihr mögt das. Es musste heute einfach schnell gehen. Für einen großen Küchenzauber hatte ich keine Zeit. Ich war vorhin noch beim Friseur.“ „Ich liebe Leberkäse, Katrin. Ich weiß gar nicht, wie lang das her ist, dass ich den das letzte Mal gegessen habe.“ Noch bevor Katrin sich über das Lob freuen konnte, drehte sich Susanne abrupt um. „Sag mal, das ist doch nicht Mamas Mantel, oder?“ Susanne zeigte auf den Pelzmantel, der an der Garderobe hing. „Doch, das ist er. Ich war heute Mittag noch kurz im Haus und da habe ich das Teil mitgenommen. Mein Mantel ist mir letzte Woche eingerissen und ich habe ihn nicht wirklich gut flicken können.“ „Du willst Mamas Mantel tragen?“ Susanne schaute ihre Schwester an, als ob diese von allen guten Geistern verlassen wäre. „Ist das dein Ernst?“
Mit so einem Wirb el hatte Katrin nicht gerechnet; sie hatte das Stück eher aus praktischen Erwägungen denn aus Eitelkeit mitgenommen. „Ich wollte nicht so zusammengeflickt auf der Beerdigung erscheinen. Außerdem ist es ziemlich kalt und der Mantel ist warm.“ Alex legte Susanne die Hand auf den Arm. „Lass uns doch erst einmal richtig reingehen, Maus. Alles andere können wir doch auch ein wenig später besprechen, oder?“ Katrin sah ihre Schwägerin in spe dankbar an. „Wir können dann auch gleich. Setzt euch schon mal hin. Marie, Lukas! Essen!“
Die Kinder waren schnell fertig mit dem Essen. Sie fühlten sich nicht wohl am Tisch mit den schwarzgekleideten Erwachsenen, die sich gern unterhalten hätten, das Gespräch aber mieden, weil es nicht für Kinderohren bestimmt war. So war das Mittagessen recht schweigsam verlaufen. Alex hatte sich nach dem Fortschritt beim Aufbau der Eisenbahn erkundigt und Katrin erzählte von ihrem Besuch im Salon König. Als die Kinder sich zum Spielen wieder in ihr Zimmer zurückgezogen hatten, konnte Katrin das Gespräch endlich auf die Fragen lenken, die ihr so auf den Nägeln brannten.
„Was hat Papa eigentlich auf euch für einen Eindruck gemacht, als ihr ihn das letzte Mal am ersten Weihnachtsfeiertag gesehen habt? Kam er euch besonders selbstmordgefährdet vor?“ „Worauf willst du hinaus?“ „Ich meine, glaubt ihr daran, dass er das Zyankali freiwillig geschluckt hat?“
Susanne hatte sich in der vergangenen Woche große Vorwürfe gemacht. Sie fühlte sich schuldig am Tod ihres Vaters. Sie war fest davon überzeugt, dass sie ihm mit ihrem Liebesgeständnis doch stärker zugesetzt hatte, als er zugeben wollte. Karl war es schon immer wichtig, was seine Umwelt von ihm dachte. Und dass eine Lesbe als „Schwiegersohn“ sowie ein Enkel zweifelhafter Herkunft genug Stoff für einen handfesten Skandal in der Stadt hergeben würden, daran bestand kein Zweifel. Vielleicht wollte sich ihr Vater das nicht mehr antun und hatte seinem Leben deshalb ein Ende gesetzt. „Zuzutrauen wäre es ihm schon. Er hat noch nie besonders viel darüber gesprochen, wie es ihm ging.“ „Maus, ich hatte allerdings schon das Gefühl, dass sich dein alter Herr richtig auf sein drittes Enkelkind freut und dass ihm die Vorfreude wieder Lebensmut gegeben hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das gespielt war.“
Katrin schaute ihren Mann an: „Und was denkst du?“ Frank zögerte mit seiner Antwort. Sollte er erzählen, dass er Karl noch im Autohaus getroffen hatte? Dass dieser eine Waffe auf ihn gerichtet hatte? Vielleicht hatte Karl bei diesem Besuch Abschied genommen von seinem Lebenswerk? Er hatte seinem Schwiegervater jedenfalls versprochen, nicht über ihr Zusammentreffen im Autohaus zu sprechen und dieses Versprechen würde er halten. Es würde Karl auch nicht mehr lebendig machen, wenn die anderen von dieser Begegnung erführen. Frank fiel ein, dass er noch dringend nach dem Käfer sehen musste. Das hatte er letzte Woche ganz vergessen. Die Ereignisse hatten sich einfach überschlagen. Die Reparatur der Lackkratzer würde das erste sein, was er sich für den Arbeitsbeginn im neuen Jahr vornehmen würde. Erst einmal musste der Oldtimer aber wieder im Autohaus sein. Katrin wartete
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