Mordwoche (German Edition)
immer noch auf eine Antwort. Frank räusperte sich. „Schwer zu sagen. Mir ist nur aufgefallen, dass Karl sehr schwach war. Aber sein letzter Tag bei uns war bestimmt ein sehr schöner für ihn. Und ich finde, das ist das Wichtigste. Es ist doch tröstlich, dass er nicht nach dem großen Knall an Heiligabend gestorben ist, sondern dann, als es am schönsten für ihn war. Ich hatte den Eindruck, dass er am liebsten gar nicht heimgehen wollte. Warum fragst du?“
Katrin war sich nicht sicher, ob sie den anderen sagen sollte, dass sie Zweifel am Selbstmord ihres Vaters hatte. Er war tot und Elfi war es auch. Es war alles ein wenig viel gewesen in der letzten Woche und Katrin sehnte sich danach, dass wieder Normalität in ihren Alltag einkehrte. Außerdem würde noch genügend Arbeit auf sie warten. Das Haus der Eltern musste ausgeräumt, die persönlichen Sachen durchgesehen und die ganzen Formalitäten erledigt werden. Susanne und Alex würden morgen wieder nach Berlin fahren und die Arbeit würde an ihr hängen bleiben. Warum sollte sie sich das Leben also unnötig schwer machen? Aber hier ging es möglicherweise um ein Verbrechen. Da konnte sie nicht einfach die Augen zumachen und so tun, als ob nichts geschehen sei. Sie musste es den anderen einfach sagen.
„Ich finde das ganze schon ziemlich seltsam. Erst sagt Papa uns beim Mittagessen noch, dass er die Gift-Kapseln garantiert nicht so schnell einsetzen wird und dann soll er nach Hause gefahren sein, um sich die Dinger einzuwerfen? Das glaube ich einfach nicht! Mamas Version klang schon plausibel, aber letztlich können wir nicht wissen, ob es wirklich so war. Schließlich war niemand sonst dabei als sie ihn gefunden hat. Sie will anscheinend nicht einmal mitbekommen haben, dass Papa heimkam, weil sie im Bad war. Und als sie ihn dann gefunden hat, in seinem Sessel, da war er bereits tot.“
„Wenn du nicht daran glaubst, dass Papa das Gift selber genommen hat, dann meinst du also, dass Mama ihn vergiftet hat?“ Susanne schien diesen Gedanken trotz des Streits zwischen ihren Eltern am Vorabend von Karls Tod für weit hergeholt zu halten. Sie sah ihre Schwester ungläubig an. „Mama ist doch keine Mörderin!“
„Beweisen kann ich das natürlich nicht. Aber der Gedanke hat mir keine Ruhe mehr gelassen. Als ich letzte Woche im Haus war, um Mama mit der Vorbereitung für die Beerdigung zu helfen, habe ich gesehen, dass Susannes Pillenschachtel, die Papa im Regal abgestellt hatte, nicht mehr an ihrem Platz stand. Ich habe sie im Mülleimer in der Küche gefunden. Glaubt ihr wirklich, dass ein Mensch, der sich gleich mit Gift umbringen will, erst noch die Verpackung fein säuberlich im Restmüll entsorgt?“
„Schatz, das reicht aber doch als Beweis nicht aus. Dein Vater war ein ordentlicher Mann, es ist gut möglich, dass er keinen Abfall hinterlassen wollte. Vielleicht war der Gang zum Mülleimer auch so etwas wie seine letzte Bedenkzeit, bevor er das Zyankali genommen hat.“ Frank wollte sich nicht mit Spekulationen dieser Art aufhalten. Wohin sollte das denn führen? Katrin sollte endlich zur Ruhe kommen.
„Ja, das wäre schon möglich, Frank. Aber das ist noch nicht alles. Ich bin dann noch nach oben ins Bad gegangen, um zu schauen ob die Gift-Kapsel in Mamas Badezimmerschrank auch fehlte. Sie lag aber noch in ihrer Schachtel ganz hinten im Regal.“ Katrin machte eine Pause und sah ihre Zuhörer an. Jetzt musste es ihnen doch auffallen! Gespannte Erwartung lag in ihren Gesichtern und Katrin fuhr fort: „Also, jetzt war die Sache für mich klar. Jemand, der sich umbringen will, der aber nicht weiß, in welcher Kapsel das Gift steckt, der nimmt doch sicher beide Giftkapseln auf einmal. Stellt euch vor, ihr wollt euch umbringen und versucht es mit der ersten Kapsel. Ihr habt also allen Todesmut zusammengenommen und die Pille geschluckt. Ihr habt mit dem Leben abgeschlossen und spürt vielleicht die Beklemmung, dass dieser Schritt nicht umkehrbar ist. Aber nichts passiert. Ihr habt das Placebo erwischt. Also müsst ihr die zweite Kapsel aus dem Bad holen und dann noch einmal den Anlauf in den Tod nehmen. Ich habe mich zwar noch nicht selbst umgebracht, aber ich könnte mir vorstellen, dass man bei so einer fifty-fifty-Chance doch beide Kapseln auf einmal nimmt. Sicher ist sicher, eine der beiden wird schon wirken.“
Frank setzte den Gedanken seiner Frau fort. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass du Recht hast. Raffiniert! Niemand würde auf den
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