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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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wie von außen, daß ich es nicht wußte. So lief ich unbesorgt, aber zu Tode erschöpft über die Sanddünen, die sich wie Wellen ins Landesinnere schoben. Erst als ich in der Ferne, dann wieder näher, einen Reiter sah, merkte ich, daß ich den Weg verloren hatte. Ich spürte den Sand, der durch die Schäfte meiner Stiefel rieselte und die Füße immer stärker zusammenpreßte, und das Gehen wurde immer mühseliger. Plötzlich hinter einem Dünenkamm stand ich vor dem Reiter, der eine deutsche Schutztruppenuniform trug. Ich fragte nach dem Weg, aber meine Fragen prallten von ihm ab wie von einer Wand. Er hob schließlich den Kopf, und unter der schattigen Hutkrempe ist nichts als eine Narbe, keine Augen, keine Nase, kein Mund. Ein gesichtsloses Gesicht. Am Hut trägt er statt der schwarzweißroten Kokarde eine weiße Margerite. Das Pferd antwortet auf Nama, aber in einem Dialekt, den ich nicht verstehen kann.

    Die Patrouille erreichte am 25. Januar 1905 Warmbad. Als die Patrouille gegen Mittag einritt, blickte keiner der angeketteten Bondels auf, aber die Soldaten liefen zusammen, zerlumpte Gestalten, und fragten nach Rum und Tabak und ob Post mitgekommen sei.

    Während des sechstägigen scharfen Ritts hatte man keinen Menschen zu Gesicht bekommen. Nur einmal waren sie auf Pferdespuren gestoßen, die frisch waren, wie Unteroffizier Rattenhuber am Pferdemist feststellen konnte. Der Leutnant ließ daraufhin die Spitze verstärken und einen Bogen in südlicher Richtung reiten. Gottschalk hielt bis in den Abend sein Gewehr im Gewehrschuh umklammert. Am darauffolgenden Tag hatte er einen Muskelkater im Arm.
    Nachts konnte man in den fernen Bergen des Karrasgebirges einige Feuer erkennen. Dort lagerten die Leute von Morenga. Dieser Gedanke, daß dort, Kilometer entfernt, die Aufständischen am Feuer saßen, hatte für Gottschalk etwas Beruhigendes. Rheinbaben behauptete aber, daß dort oben niemand am Feuer säße, sondern die Aufständischen hockten irgendwo in der Dunkelheit auf dem Weg zu diesen Feuern. Die habe man nur angezündet, um die Patrouille dort hinzulocken. Auch Rattenhuber war sicher, daß dort oben niemand am Feuer läge. Alle Bewegungen der Patrouille würden seit dem Abritt durch Späher beobachtet. Das war für Gottschalk das Unheimliche, beobachtet zu werden, ohne selbst irgend jemanden zu sehen. Stunde um Stunde waren sie durch eine menschenleere Landschaft geritten. Und doch waren irgendwo Augen, die ihn sahen, seine Bewegungen verfolgten. Dort, das Heulen einer Hyäne kam möglicherweise von keiner Hyäne, sondern war ein Zeichen, ein Signal, das man zwar hören, aber nicht verstehen konnte. Gottschalk kam während dieses Ritts nicht zum Lesen. (Was für ein unsinniger Vorsatz.) Er hatte sogar darauf verzichtet, die Satteltaschen ganz mit Mais zu füllen, um dafür den Kropotkin einstecken zu können. Jedesmal, wenn er abends hineingriff, um seinem Pferd eine Handvoll Mais zu geben, spürte er das Buch. Nachts lag er wach, obwohl erschöpft, und lauschte in die Dunkelheit. Er konnte an dem Atem von Doktor Haring hören, daß auch der wach lag. Als Gottschalk Rheinbaben gelegentlich einmal sagte, wie sehr er bewundere, daß Rheinbaben ruhig sei und keinerlei Nervosität zeige und eben das doch wohl den Mut oder die Tapferkeit ausmache, sagte der nur: das sei bei ihm lediglich eine Frage des niedrigen Blutdrucks. Doktor Haring erbot sich, Rheinbaben den Blutdruck zu messen, auch habe er ein Mittel in seiner Handapotheke.

    Rattenhuber mußte auf diesem sechstägigen Ritt nur einmal Pst! sagen, als Gottschalk Haring auf eine besonders große Sternschnuppe aufmerksam machte.
    Dagegen war der Ritt mit Wenstrup und dem Schweinebauch wie eine Herrenpartie zum Vatertag gewesen.
    An dem Morgen, an dem Wenstrup aus Keetmannshoop hinausritt, hatte er sich von Gottschalk verabschiedet. Daran war nichts Ungewöhnliches. Immerhin wäre er zwei bis drei Wochen weggeblieben.
    Sie hatten sich die Hand gegeben und sich gegenseitig Glück gewünscht. Das war alles. Jetzt versuchte sich Gottschalk gerade diese Situation in all ihren Einzelheiten immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. Wie hatte Wenstrup ihm die Hand gegeben? Hatte er dabei gelacht? Mit welcher Betonung hatte er was gesagt? Aber da war nichts weiter gewesen als dieser Händedruck, dazu ein Lächeln, ja, und diese Floskel: Viel Glück.
    Manchmal fragte er sich, wie Wenstrup ihn gesehen haben mochte. Auch von Jakobus, seinem Sprachlehrer, hatte sich

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