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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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Bezahlung erfolge dann in Vieh, das sie sich, da sie selbst nur wenig besäßen, bei den Herero holen müßten, wofür sie wiederum Pulver und Blei und Gewehre benötigten, die abermals mit Vieh bezahlt werden müßten. Der Waffenhandel, der bislang noch etwas Zufälliges habe, bekomme dann eine gewisse Notwendigkeit. Alles stehe bereit, aber wie bringe man die müden Glieder zum Tanzen? Branntwein, sagte Klügge und nahm die Hand vom Hals.
    Genau, sagte Morris, der Branntwein wird den schlafenden Markt beleben.
    Morris machte Klügge das Angebot, ihn bei seinem Handelszug nach Windhuk zu begleiten, als rechte Hand sozusagen, denn Klügge habe in seinen Plänen etwas Zupackendes, und das sei bei diesem großen Projekt notwendig. Morris wollte ihn am Gewinn beteiligen. Klügge hatte nur noch eine Frage: Wohin mit den Rindern?
    Dorthin, wo man Frischfleisch braucht, zu den Minen von Kimberley und Johannesburg, zu den Schlachthöfen des hungrigen Kapstadt, vor allem aber nach Sankt Helena. Dort könne man die größten Gewinne erzielen.
    Morris hatte als junger Kaufmann fast fünf Jahre auf Helena gelebt und dort, in Longwood, mehrmals Napoleon gesehen, der ihm einmal mit einem Bon soir zugenickt haben soll. Napoleon, so erzählte Morris, habe den englischen Gouverneur Sir Hudson Lowe damit schikaniert, daß es ihm beliebte, nichts als Ochsenzunge in Madeirasoße zu essen. Ochsenzungen seien aber nur mit großen Mühen und Unkosten zu beschaffen gewesen. Allerdings habe es sich beim baldigen Tod des Kaisers gezeigt, daß es doch keine reine Schikane gewesen sei. Napoleon starb an Magenkrebs. Dieses Genie, und er sage das ganz bewußt als englischer Patriot, betonte Morris, habe ihn so, noch als Todkranker, auf den Gedanken gebracht, in großem Umfange Hererorinder auf die Insel zu exportieren. Auf St. Helena versorgten sich die meisten Schiffe auf der Fahrt nach Indien und Australien mit Süßwasser, warum sollten sie nicht auch Frischfleisch kaufen. Saftige Steaks minderten die Gefahr von Meuterei und Skorbut. Aus Dankbarkeit und Verehrung gegenüber diesem Genie habe er später Gut Longwood gepachtet und in Napoleons Arbeitszimmer ein Kontor eröffnet. Zum Abschied, Klügge konnte endlich von dem harten, mit Polsternägeln beschlagenen Sesselrand aufstehen, sagte Morris, ihm die Hand reichend: Sehen Sie, Mister Klügge, eine unsichtbare Hand wird aus den eigennützigen Motiven schließlich doch noch menschenfreundliche Taten schaffen.
    Über diesen Satz grübelte Klügge nach, als er zu seiner Herberge zurückging. Er war, genaugenommen, Angestellter von Morris geworden, denn das besagte doch der Ausdruck rechte Hand. Andererseits sagte er sich, daß er von diesem Mann viel lernen könne, gerade was die Realisierung kaufmännischer Pläne betraf. Und sein Plan ging dann doch noch über den Morrisplan hinaus. Ihm ging es nicht allein darum, den Markt aus seinem Schlummer zu wecken, die Tauschgeschäfte aus ihrer Zufälligkeit in eine Notwendigkeit zu erheben, sondern er wollte, in Zusammenarbeit mit den Häuptlingen, ein Branntweinmonopol errichten. Den Zug nach Windhuk wollte Klügge nutzen, um Erfahrungen zu sammeln und Kontakte zu knüpfen. Der Satz mit der unsichtbaren Hand, und das war doch ganz offenbar die Hand Gottes, die da im Spiel war, gefiel ihm. An diesem Nachmittag, in einem abgedunkelten Zimmer, die Hand an der Kehle, versuchte Klügge ein Gedicht zu schreiben. Er war auf dem Rückweg an einem blühenden Orangenbaum vorbeigekommen. Aber ihm fiel sogleich auf das Wort Blüte das Reimwort Hüte ein und das, was er sich ausdachte und laut vor sich hersagte: Auf jede Orangenblüte folgen neue Hüte, paßte immer weniger mit dem zusammen, was er auf dem Rückweg zu empfinden geglaubt hatte. Schließlich dachte er nur noch Blüte und Hüte, und langsam zog sich jeder Sinn aus den Worten, auch aus dem, was er schreiben wollte, und sein Versuch erschien ihm nur noch komisch. Auf dem leeren Blatt Papier begann er seine Außenstände und seine Verpflichtungen zusammenzurechnen. Danach stellte er eine Liste all jener Waren zusammen, von denen er annahm, daß sie einen gedeihlichen Handel mit den Hottentotten in Windhuk ermöglichen würden. Neben zehn Branntweinfässern, einem größeren Posten an Gewehren, Kugelzangen und Pulver notierte er auch größere Mengen verschiedener Glasperlen, Murmeln und Sackleinen. Letzteres setzte er als Kleiderstoff ein.
    Als er dann, einige Tage später, mit Morris die Liste

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