Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
in der Burg. Vanye hatte sich an der Lehne eines Stuhls festgeklammert, Kithan am Tisch, das Lachen war aus ihm herausgeschüttelt worden. Die Barrower lehnten bleich und zitternd an der von Rissen übersäten Mauer.
»Raus!« brüllte Morgaine sie an. »Raus hier, wir müssen aus der Burg hinaus!«
Panik setzte ein. Die Hiua stürmten in Massen zur Tür, sie bedrängten sich fluchend; Vanye hatte die Schwertspitze auf Kithan gerichtet und sah, daß sich Morgaine die Zeit ließ, ihre Sachen vom Kamin zu holen.
»Komm!« drängte er sie und griff nach ihrer Last. Sie ließ das Bündel nicht los, sondern setzte sich mit schnellen Schritten in Bewegung. Vanye wollte bei Morgaine bleiben und ließ Kithan stehen; der Halbling huschte aus der Tür und lief in entgegengesetzter Richtung in den Korridor, weiter nach oben.
»Seine Angehörigen«, sagte Morgaine; und Vanye empfand so etwas wie Respekt vor dem
qujal-
Lord, als er erkannte, was der andere vorhatte.
Und als er den Kopf wandte, sah er noch etwas — zerbrochenes Holz, eine zerschmetterte Tür.
Der Priester.
»Geh weiter!« brüllte er Morgaine zu und drehte im Laufen um, kam rutschend zum Stehen und riß die kaputte Tür auf, wobei Holz zersplitterte.
Der Lagerraum war leer. Der Priester war ein schmaler Mann; die Öffnung, die er sich geschaffen hatte, mochte ausgereicht haben. Der Priester war fort.
Vanye machte kehrt und lief in die Richtung, die Morgaine eingeschlagen haben mußte, vorbei an einem umgestürzten Schrank und einer Mauer, die sich gefährlich zu neigen schien. Er sah seine Herrin, verdoppelte seine Anstrengungen und holte sie ein, als sie eben den Hauptkorridor erreichte.
In der breiten Spirale herrschte das Entsetzen: nur wenige besaßen Fackeln; viele Wandfackeln waren herabgefallen, so daß der Gang an manchen Stellen im Dunkeln lag. Die Diener nahmen sich den verzweifelten Mut heraus, zu schieben und zu stoßen wie die freien Menschen; schreiende Frauen und Kinder des Aren-Volks kämpften mit Dienstboten der Burg um den Vortritt, Männer schoben rücksichtslos nach, wo immer sie mit Körperkräften weiterkommen konnten. Einer von Haz' Söhnen kämpfte sich an Morgaines Seite und flehte sie um Trost an; er plapperte Worte, die man kaum verstehen konnte. Morgaine versuchte zu antworten, faßte haltsuchend seinen Arm, als sie den Spalt erreichten, der schon immer im Korridor geklafft hatte: jetzt war er körperbreit. Ein Kind fiel schreiend hinein; Vanye packte es an der Kleidung und setzte es sicher auf der anderen Seite ab, wobei ein Stein in die Tiefe fiel. Irgendwo unten traf der Brocken auf Wasser.
Morgaine war in Bewegung geblieben: die Sumpfbewohner machten ihr Platz. Vanye sah sie nicht mehr und kämpfte sich nun selbst rücksichtslos und verzweifelt weiter.
Das untere Tor war nicht versperrt; seit dem Angriff war es nicht mehr verschlossen gewesen. Vanye sah Morgaine ins Freie treten, hinaus in den Nieselregen, und versuchte zu Atem zu kommen, als er sie erreichte, nur vage registrierend, daß sie noch von den Nachfolgenden bedrängt wurden.
Sein Blick war wie der ihre entsetzt auf das Tor gerichtet: der große Wachtturm war eingestürzt und riß nun neben dem zerstörten Tor eine noch breitere Lücke: jammernde Gestalten stiegen im Regen über den Schutt, der zwischen die primitiven Behausungen gefallen war, Megalithen von doppelter Mannsgröße, die Fleisch und dünne Dachstreben gleichermaßen zermalmt hatten.
Die Shiua sahen Morgaine auf der Vortreppe stehen, und ein Schrei stieg zum Himmel empor, ein lautes Wehklagen. Betäubt, angstvoll kamen die Gestalten näher; und Vanye packte das Schwert fester, ehe er erkannte, daß die Leute Trost suchten, ihre Gesten und Rufe forderten Erbarmen. Eine Menge versammelte sich, Sumpfbewohner wie auch Menschen aus der Siedlung im Hof. Hiua und Shiua standen in ihrem Kummer Seite an Seite. Niemand bedrängte Morgaine unmittelbar: sie trat von der letzten Stufe und ging in die Menge, die ihr zurückweichend Platz machte und sich gegenseitig bedrängte, um sie nicht zu berühren. Vanye folgte ihr dichtauf, das Schwert in der Hand, verängstigt beim Anblick des Mobs, der ihn schon einmal bedroht hatte und jetzt beide verzweifelt anflehte. Hände, die Morgaine nicht anfassen wollten, berührten ihn, doch es waren Gesten, mit denen Hilfe gesucht wurde und eine Erklärung — und beides konnte er nicht geben.
Morgaine raffte den Mantel um sich und stülpte die Kapuze über, während sie
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