Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
durch den Hof schritt, und außerhalb des Gefahrenbereichs fallender Steine drehte sie sich um und blickte zum Burggebäude zurück.
Vanye wagte einen hastigverstohlenen Blick über die Schulter, aus Angst vor den Menschen ringsum und sah, daß der gestürzte Turm auch einen der Stützpfeiler der Burg mit eingerissen hatte. Das mächtige Bauwerk offenbarte einen gewaltigen Riß, sein Inneres den Elementen darbietend und weitere Zerstörung verheißend.
»Ich glaube nicht, daß die Burg die nächste Stunde übersteht«, sagte Morgaine. »Es wird weitere Erschütterungen geben.« Einen Augenblick lang sah sie sich auf dem Hof um und schien selbst im Schockzustand zu sein, über das Gebrabbel von Gebeten, über die panischen Fragen erhob sich das gleichförmige Jammern von Männern und Frauen, die ihre Toten beklagten.
Und plötzlich warf sie den Kopf in den Nacken und brüllte die Arenbewohner an, die in der Nähe standen: »Niemand darf hierbleiben! Es wird alles einstürzen. Nehmt mit, was ihr zum Leben braucht, und geht, geht fort von hier!«
Diese Worte lösten eine Panik aus; sie beachtete die Fragen nicht, die man ihr zubrüllte, sondern griff Vanye am Ärmel. »Die Pferde. Hol unsere Pferde heraus, ehe die Mauer einstürzt.«
»Aye«, sagte er und erkannte dann, daß er sie dazu verlassen mußte; nach dem ersten halben Schritt zögerte er und sah auf ihrem Gesicht die unvernünftige Entschlossenheit, die er gut kannte, sah die verzweifelte Menge, die sie umdrängte, die sich in ihrer Angst an Morgaine klammern wollte: sie würde nicht freikommen. Er lief los, wich diesem oder jenem Mann aus und eilte über den von Pfützen übersäten Hof zum Stall, wobei ihm Jhirun einfiel, die er ihrem Schicksal überlassen hatte — den entsetzten Pferden und den möglichen Schäden durch das Erdbeben.
Die Stalltür stand offen. Er schob sie ganz auf. In der warmen Dunkelheit erwartete ihn das Chaos — aufgetretene Gatter, leere Boxen, von ihren Pferden in Panik verlassen. Ein wildgewordener Brauner galoppierte ins Freie, als Vanye die Stalltür aufmachte. Andere Pferde standen noch in ihren Boxen.
»Jhirun!« rief er und sah erleichtert, daß Siptah, sein Pferd und Jhiruns Mähre noch an Ort und Stelle waren.
Niemand antwortete. Etwas raschelte im Stroh — zahlreiche Körper bewegten sich in der Dunkelheit. Fwar trat ins Licht, hinter sich zahlreiche Anhänger, die aus einer Box ins Helle traten und über das Gatter einer anderen sprangen: mit Messern bewaffnete Kämpfer. Vanye fuhr halb herum, nahm aus dem Augenwinkel andere Gestalten hinter sich wahr.
Er schleuderte die Scheide von seinem Schwert und ließ es den Männern entgegenwirbeln, traf damit den Mann zu seiner Linken, der sich gleich darauf im Stroh wand. Vanye bückte sich unter einem pfeifenden Stab hindurch und attackierte einen zweiten Mann, der verwundet floh.
Ein Krachen kam von hinten, Siptahs schrilles Wiehern ertönte. Vanye drehte sich dem Messerangriff entgegen, duckte die ungeschickte Bewegung ab, ließ seine Klinge vom Arm des Mannes gleiten, riß sie frei und hob sie wieder, zum Angriff bereit, wobei er zurücksprang, zustieß und den Angreifer zu seinen Füßen niederstürzen ließ.
Die anderen liefen auseinander, nur Fwar versuchte seine Position zu behaupten: ein Schatten bewegte sich, ein nackter Fuß zuckte auf — Fwar wollte sich mit erhobenem Messer umdrehen, und Vanye sprang auf ihn zu, doch das herumschleudernde Zaumzeug in Jhiruns Hand war schneller. Eine Kette prallte Fwar gegen den Kopf, ließ ihn schreiend zu Boden gehen: in blindem Zorn versuchte er sich wieder aufzurappeln.
Vanye drehte die Klinge, knallte Fwar den Griff gegen den Kopf, und der Mann streckte sich mit dem Gesicht nach unten im Stroh. Jhirun stand schweratmend vor Vanye, das Gewirr aus Ketten und Lederriemen in beiden Händen; Tränen liefen ihr über das Gesicht.
»Das Erdbeben«, sagte sie erstickt, »der Regen, das Erdbeben oh, die Träume, die Träume, mein Lord, ich habe geträumt...«
Er entriß ihr das Zaumzeug, wobei er ihr weh tat, und packte sie an den Armen. »Los!«, drängte er. »Auf das Pferd!« Er hätte Fwar am liebsten getötet: vor allen kam ihm dieser Mann am gefährlichsten vor, doch jetzt wäre es Mord gewesen, den Bewußtlosen zu durchbohren. Er verwünschte Jhiruns Eingreifen, wußte er doch, daß er den Mann im sauberen Kampf hätte besiegen könen, daß es falsch war, ausgerechnet Fwar am Leben zu lassen, nachdem er Angehörige
Weitere Kostenlose Bücher