Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
die Pferde wurden müde und unruhig.
Im Lager tat sich nichts.
»Gib es mir!« sagte Morgaine endlich; Vanye kam der Aufforderung voller Schrecken nach, konnte doch die geringste falsche Berührung tödlich sein. Doch ihre Hand war kräftig und sicher, als sie die Waffe entgegennahm.
Er blickte hinter sich, auf den Einschnitt des Suvoj, vor dem die anderen warteten. »Das Wasser ist gefallen«, sagte er und fügte nach kurzem Schweigen hinzu: »Die Hiua werden nicht wagen, uns zu folgen. Sie haben aufgegeben. Steck die Klinge fort!«
»Geh!« sagte sie und setzte barsch hinzu:
»Reite zurück!«
Er zog den Kopf des Pferdes herum und ritt zu den anderen, die
qujal
auf einer Seite der Straße, Jhirun auf der anderen; sie hatte sich auf den Steinrand gesetzt und hielt die Stute am Zügel.
Als sie ihn näher kommen sah, raffte sich das Mädchen auf, vor Erschöpfung taumelnd kam sie ihm entgegen. »Lord«, sagte sie und fiel dem Wallach in die Zügel, um seine Aufmerksamkeit zu erwecken. »Lord, die Halblinge sagen, daß wir jetzt vielleicht hinüberreiten können. Sie reden davon, daß sie es versuchen wollen.« Ihr Gesicht zeigte einen extremen, wilden Kummer, ein Ausdruck, der eingemeißelt schien, der sich nicht mehr ändern konnte. »Lord — wird sie uns gehen lassen?«
»Reite schon los«, forderte er sie aus eigener Entscheidung auf, denn mit Morgaine war im Augenblick nicht vernünftig zu sprechen; und während er zusah, wie die anderen aufstiegen und ihre Pferde auf die gefährliche Furt zulenkten, bestürzte ihn die eigene Härte, die es fertigbrachte, drei Männer und eine Frau vorauszuschicken, damit sie den Weg für seine Herrin erkundeten — weil sie ihn und nicht sie hochschätzte.
So begann er sich zu verhalten, Morgaine treu. Er ließ sein Herz kalt werden, obwohl sich ihm der Hals zuschnürte vor Scham, während er zusah, wie sich die vier einsamen Gestalten über die gefährliche, überflutete Straße mühten.
Und als er sah, daß sie die Hälfte des Weges weit hinter sich hatten und noch immer vorankamen, machte er kehrt und ritt an Morgaines Seite zurück.
»Jetzt«, sagte er heiser, »jetzt,
liyo,
können wir übersetzen.«
15
Vanye übernahm die Spitze und lenkte den unruhigen Wallach auf den Einschnitt zu, in dem die Flut widerhallend brauste. Das zurückweichende Wasser hatte pfützenübersäte Flächen zurückgelassen, die im Mondlicht schimmerten. Etliche entwurzelte Bäume lagen auf der feuchten Ebene, mehrere hatten die Dammstraße gerammt und ließen ihr Astwerk in gefährlichem Gewirr auf der strömungswärtigen Seite aufragen, skelettartige Massen, mit Girlanden aus totem Gras und Blättern verziert.
Dann krümmte sich der Damm höher über den Felsgrund, durchstoßen von Flutöffnungen über dem Wasser — eine Brücke, die ihre weiten Bögen über den Abgrund schwang.
Vanye dachte an die Dinge, die vor ihnen lagen, und flehte den Himmel an, daß er die Erde jetzt still lassen möge. Sein Pferd ging langsamer, kam aus der Spur, er drückte sanft die Hacken an und ließ es weitergehen.
Die Strömung donnerte und brodelte durch die Brückenbogen, die bis vor kurzem noch völlig unter Wasser gelegen hatten. Gewaltige Megalithen stützten dieses Gebilde, das bisher noch von keinem Erdbeben vernichtet und von keiner Flut unterspült worden war. Ein Baum hing über dem Rand der Straße, über den gewaltigen Brückenbögen sehr klein aussehend, wie ein herabbaumelndes Aststück, doch die Wurzeln ragten höher empor als Pferd und Reiter zusammen. Vanye vermied den direkten Blick in die Strömung, der ihn schwindlig machte — nur einmal ging er von dieser Regel ab: er sah das Wasser auf seiner Seite heranbrausen und hindurchströmen in die endlose Wasserfläche auf der anderen Seite, eine Weite, die die gesamte Schöpfung zu erfassen schien, Inmitten dieser Endlosigkeit hing der dünne Faden der Brücke, und darauf die Reiter, winzig und verloren im Tosen und Donnern, das die Gischt wie einen Nebel ringsum aufsteigen ließ.
Er wandte den Kopf — auf einmal empfand er eine sinnlose Sorge um Morgaine, wurde jedoch sofort getröstet durch ihre Gestalt dicht hinter ihm. Sie trug
Wechselbalg
in der Scheide an der Schulter; ihr bleiches Haar schimmerte im Halblicht, vom Wind gepeitscht, als sie sich nun ebenfalls umwandte.
Zahlreiche Fackeln erschienen am Beginn des Dammweges, wie eine funkelnde Sternengruppe, die auf den Weg zu strömen begann.
Was sie über Ohtij-in hatten
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