Morgaine 2 - Der Quell von Shiuan
hinab, wo die Halblinge den Hügel gerade erst in Angriff nahmen. »Zeit zum Ausruhen«, sagte sie.
»Ja«, stimmte er ihr erleichtert zu und beschäftigte sich damit, Gurte zu lockern und Trensen herauszunehmen, um den erschöpften Pferden Erleichterung zu verschaffen. Während er sich um die Tiere kümmerte, entfernte sich Morgaine einige Schritte zu einer kleinen Felsformation, die die Hügelspitze bildete — hier luden flache Steine zum Sitzen ein, so daß man nicht auf die feuchte Erde angewiesen war.
Vanye beendete seine Arbeit und nahm eine Flasche mit dem Hiua-Getränk und ein eingewickeltes Stück Proviant und bot ihr beides an, gegen alle Erwartung hoffend, daß sie zugreifen würde. Sie hatte
Wechselbalg
gelöst und gegen ihre Schulter gelehnt, den rechten Arm in den Schoß gelegt, eine Haltung, die Schmerzen verriet; doch sie hob den Kopf und zwang sich, einen Teil des Angebotenen zu nehmen — wohl ebenso sehr, um einen Streit mit ihm zu vermeiden, wie aus Hunger. Vanye trank und aß selbst ein wenig; und als sie fertig waren, ritten auch die Halblinge näher, Jhirun ein gutes Stück zurück.
»Liyo«,
sagte Vanye vorsichtig. »Wir täten gut daran, die Chance zum Ausruhen jetzt zu nutzen. Wir haben die Pferde beinahe bis zum Letzten angetrieben. Es scheint noch weiter bergauf zu gehen, und es könnte eine Zeit kommen, da wir mehr auf Geschwindigkeit angewiesen sind als jetzt.«
Sie nickte, seine Argumente stumm akzeptierend, unabhängig davon, ob sie mit ihren eigenen Gründen übereinstimmten. Ihre Augen zeigten kein Interesse für die Dinge, die um sie herum vorgingen. Er hörte das Näherkommen der Halblinge und war von einer ganz eigenen Qual erfüllt, wollte er doch keine Fremden in ihrer Nähe sehen, wenn sie in solcher Stimmung war. Er hatte sie schon öfter erlebt, jene seelenlose Energie, die sie packte und in Bewegung hielt, die nur auf den Zwang reagierte, von dem sie getrieben wurde. Im Augenblick war sie verloren ... ihn mochte sie erkennen oder mit Männern verwechseln, die längst Staub waren: die Zeit kam ihr kurz vor, sie, die Tor um Tor um Tor passiert hatte, dann und wann besiegt, die vor Monaten in einen Krieg geritten war, bei dem Vanyes Vorfahren ums Leben gekommen waren.
In jener Lücke lagen für ihn hundert Jahre. Für Jhirun ... In plötzlichem und schrecklichem Begreifen blickte er auf die ferne Gestalt. Tausend Jahre. Er konnte sich tausend Jahre nicht vorstellen. Hundert reichten aus, um einen Menschen zu Staub werden zu lassen; fünfhundert gingen in eine Zeit zurück, da es in Morija noch gar nichts gegeben hatte.
Morgaine hatte ein Jahrhundert durchritten, um seine Zeit zu betreten, hatte ihn an sich gebunden, und gemeinsam waren sie an einen Ort übergewechselt, der von Jhiruns Anfängen weit entfernt lag, deren Vorfahren in den Barrows aufgebahrt lagen und in ihren Kuppelgräbern moderten ... Männer, die Morgaine vielleicht persönlich gekannt hatte, jung, in der frischen Kraft ihres Lebens und mächtig in jenem Zeitalter der Welt.
Einen solchen Abgrund hatte er übersprungen, nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich.
O Gott!
formten seine Lippen.
Nichts von dem, was er einmal gekannt hatte, existierte noch. Menschen, Verwandte, alles, was er je erlebt hatte, war alt, zerfallen, zu fließendem Staub geworden. Nun wußte er, was er getan hatte, als er das Tor durchschritt. Es war unwiderruflich. Er wollte Morgaine mit Fragen überhäufen, wollte Antworten hören, wollte klar gesagt bekommen, was sie ihm bisher aus Mitleid verschwiegen hatte.
Doch nun waren die
qujal
heran. Pferde wurden am Wegrand gezügelt. Lord Kithan, ohne Rüstung, ohne Helm, schwang sich aus dem Sattel und kam mit einem seiner Männer auf sie zu, während sich der andere um die Pferde kümmerte.
Vanye stand auf und löste den Ring, der das Schwert an seiner Schulter festhielt. So stellte er sich zwischen Kithan und Morgaine. Und Kithan blieb stehen — nicht mehr der elegante Lord, sein dünnes Gesicht war abgespannt, er ließ die Schultern hängen. Kithan hob die Hand, bedeutete Vanye mit einer Geste, daß er sich nicht aufdrängen wolle, und ließ sich ein Stück von Morgaine entfernt auf einen flachen Stein sinken; seine Männer setzten sich ebenfalls, die weißblonden Köpfe geneigt, erschöpft.
Jhirun ritt zwischen die Pferde der
qujal,
glitt aus dem Sattel und hielt sich an dem Tier fest. Gleich darauf löste sie mit großer Mühe den Sattelgurt und führte das Pferd zu einer
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