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Morgen des Zorns

Morgen des Zorns

Titel: Morgen des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Douaihy
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Abu Draa, die geschrien hatte und ohnmächtig geworden war.
    Er hat nach rechts und nach links gezeigt, zu den Häusern des Viertels, ist ans Fenster, hat seine Faust in Richtung Berg geschüttelt. In Richtung Burdsch al-Hawa. Später habe ich verstanden, dass er dem Ort gedroht hat, er war so wütend wie ein Mann, der sich von einem anderen beleidigt fühlt. Meine Mutter hat ihn genau beobachtet und verstanden, sie hat die Augen aufgerissen und ist vor Angst schier erstickt. Aber damit ihr kein Schrei entweicht, hat sie die Hand auf den Mund gelegt.
    Ich konnte den Anblick meiner Mutter nicht mehr ertragen und habe aus Leibeskräften geschrien:
    – Was meint er, Mama? Was ist denn passiert, nun sag schon!
    Meine kleine Schwester hatte sich auch die Hand auf den Mund gelegt. Meine Mutter hat gezögert, sie hat nicht gewusst, wo sie anfangen sollte, auch sie war plötzlich stumm. Ich habe den Fischer angeguckt in der Hoffnung, vielleicht etwas aus seinem Gesicht ablesen zu können. Er hat lächelnd dagestanden. So war er, immer wenn er zu uns nach Hause kam, hat er ein Lächeln aufgesetzt, sobald er seine Botschaft an den Mann gebracht hat.
    Dann haben wir den Lärm gehört. Ein seltsames Rauschen. Dann plötzlich das pausenlose Hupen von einem Auto; einem Auto, das hinunter in Richtung Stadt rast. Die Bewohner des Viertels waren aus ihren Häusern gekommen, wollten sehen, was los war. Der Platz wurde immer voller, die Leute blockierten die Straße. Die Frauen, die an den Ecken der engen Straßen standen, hatten die Hände in die Hüften gestützt, so als könnten sie ihre Körper nicht mehr tragen; andere hatten die Arme über der Brust verschränkt, sie warteten und rechneten mit dem Schlimmsten. Warteten auf die Namen der Getöteten, es seien viele, hieß es. Ich habe nicht mehr gewagt, an irgendjemanden zu denken. Wer von unseren Männern war denn nicht nach Burdsch al-Hawa hochgestiegen? Da hat Kâmleh plötzlich vom Balkon gerufen:
    – Muntaha!
    Im Hauskleid bin ich zu ihr:
    – Jûssef ist tot!
    Jede Frau, deren Mann nach Burdsch al-Hawa hochgegangen war, hielt ihn in diesem Moment für tot.
    – Lass mich nicht allein, Muntaha.
    Ihre Mutter war noch nicht bei ihr. Ihre Mutter wohnte weit entfernt, unten am Fluss. Wie hätte ich sie alleinlassen können? Seit Jûssef al-Kfûri sie in unser Viertel gebracht hat, bin ich ihre Nachbarin. Wer Kâmleh suchte, fand sie bei Muntaha, wir haben dort in der Ecke, im Schatten der Weinlaube gehockt. Wir haben auf der Bank gesessen und getratscht; wir haben über alle gelästert, sie hat eine böse Zunge, die Kâmleh. Sie will zwar niemandem schaden, aber sie lässt auch nichts auf sich sitzen.
    Ich bin zu ihr hin und sah sie auf dem Boden hocken. Ich habe versucht, sie zu beruhigen und ihr den Besen aus der Hand zu nehmen. Als das Geschrei lauter geworden war und sie die Nachricht gehört hatte, war sie anscheinend dabei gewesen, wie jeden Tag die Blätter und die Blütenreste auf dem Balkon wegzukehren. Ihr Körper hatte sie nicht mehr getragen, deswegen hatte sie sich einfach auf den Boden gesetzt, mit dem Besen in der Hand. Sie hat da auf dem Boden gesessen, die Beine von sich gespreizt und den Besen wie eine Fahne in die Höhe gestreckt.
    – Keine Angst, dein Mann geht Problemen doch immer aus dem Weg, und alle mögen ihn …
    Sie hat mich gar nicht gehört. Aber ich konnte ihren Anblick mit dem Besen nicht mehr ertragen.
    – Gib mir den Besen! Beruhige dich doch!
    Sie hat aber nicht losgelassen. Stattdessen hat sie mit dem Besenstiel auf den Boden geschlagen. Regelmäßig, ein Schlag nach dem anderen. Bis das Geschrei von der Straße immer lauter wurde und wir wussten, dass Tote oder Verletzte gebracht wurden. Da musste sie aufstehen, und zusammen sind wir mit den anderen Leuten auf die Straße gegangen.
    Ein gepanzertes Fahrzeug der Polizei stand auf dem Platz, und obendrauf ein Geheimdienstler, der die Menge beobachtete. Er hatte einen nach oben gezwirbelten Schnurrbart, wie der komische Pik-König, aber er hat sich ganz verstört umgeguckt. Er sah wirklich lustig aus, aber er hatte Angst oder war vor Schreck wie gelähmt, wegen uns und wegen unseren Toten, ich weiß es nicht.
    Wir haben alle Leute gefragt, Kâmleh hat alle angefleht, Leute, die sie kannte und die sie nicht kannte, sie wollte wissen, was passiert war.
    – Habt ihr meinen Mann gesehen? Jûssef al-Kfûri?
    Niemand hat geantwortet, niemand hat etwas gewusst. Und wer etwas gehört hat, hat nicht

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