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Morgen ist der Tag nach gestern

Morgen ist der Tag nach gestern

Titel: Morgen ist der Tag nach gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mechtild Borrmann
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und die alten Fensterläden sind fest verschlossen. Kurzatmig, mit gurgelndem Geräusch zieht sie Luft in die Lunge. Das blondierte Haar liegt, unter einem Netz, wie ein schmuddeliger Heiligenschein um das teigig glänzende Gesicht. Auf dem Nachttisch steht eine Schachtel Dormocaps. Daneben die fünfziger Packung Tramal.
    Nein, er wird gar nicht erst versuchen sie zu wecken. Sie wird schimpfen, wenn er sie weckt.
    Sie wird auch schimpfen, wenn er sie nicht weckt. Aber erst morgen.
    „Der Horstmann brennt! Der Horstmann brennt lichterloh!“, flüstert er in den Raum.
    In seinem Zimmer zurück, öffnet er die Schublade der Wäschekommode, hebt die sorgfältig gestapelten Unterhemden vorsichtig hoch und legt sie auf den Schubladenrand. Er zieht das Fernglas heraus, hebt den schmalen Lederriemen über den Kopf, greift wieder mit beiden Händen nach den Unterhemden und legt sie zurück. Dann öffnet er die Balkontür und tritt hinaus ins Freie.
    Die Gärten zwischen ihrem und Horstmanns Haus haben zusammen die Größe eines Fußballfeldes. Nur der Bach trennt die Grundstücke. Das Rufen der Menschen, das ächzen von aufspringendem Holz und das Prasseln der Flammen, die aus den unteren Fenstern schlagen und die Ränder des Rieddaches anspringen, sind gut zu hören.
    Er schaut durch das Glas und regelt die Schärfe. Das Feuer hat die Räume des ausgebauten Dachbodens erreicht. Vorhänge brennen und Glas zerspringt. Die Flammen schnappen nach dem Sauerstoff und werden einatmend größer. Der Fackeltanz spiegelt sich auf den silbergrauen Stämmen der Weißbuchen hinter der Terrasse und lässt sie in zitterndem Gelb und Rot aufleuchten.
    Wie Schwärme von Glühwürmchen fliegen Funken in das feine, von der Hitze des Sommers ausgetrocknete Blattwerk, glühen auf und ersterben. Neue Schwärme tanzen vom Haus hinüber, dichter und entschlossener fallen sie über die gut zehn Meter hohen Baumkronen her und in Sekunden brennen sie lichterloh. Die Hitze der Nacht verbindet sich mit der Glut des Feuers. Frank tritt gegen die mit Efeu zugewachsene Balustrade des Balkons. Schmerzvoll verzieht er den Mund und flüstert: „Aber wie …?“
    Keiner kann ihn hier sehen. Nicht, wenn er es nicht will. Horstmann müsste doch da sein. Aber warum …?
    Dicke, grauschwarze Rauchschwaden finden jetzt ihren Weg durch die feinen Ritzen des Rieddaches. In der Ferne hört er das gleichmäßige Auf- und Abschwellen von Martinshörnern, das sich zwischen das unkontrollierte Zischen und Knistern des Feuers schiebt. Noch bevor die Feuerwehr da ist, liegt für einen Augenblick ein Grollen in der Luft, wie der Vorbote eines Gewitters. Das Dach bricht ein und die Flammen, endlich frei atmend, greifen in die Nacht und malen einen weiten roten Bogen über den Himmel.
    Frank hält mit der Linken das Fernglas. Mit der rechten Faust schlägt er auf das Geländer, versucht den zornigen Rhythmus des Feuers zu finden.
    Feuerwehrmänner laufen kreuz und quer, Leitern werden ausgefahren, überall wird gerufen und hantiert. Am Boden spritzen sie Löschschaum in das Haus, von den Leitern aus arbeiten sie mit Wasser. Auch der Rasen und die Baumreihen am Bach werden bewässert.
    Es ist vier Uhr zwanzig, als die Bewegungen der Männer ruhiger werden und die Reste des Hauses dampfend daliegen, wie ein Drache, der seine letzten Atemzüge tut.
    Erneut öffnet er die Schublade der Kommode, hebt die Unterhemden sorgfältig auf die Ablage, wickelt den schmalen Lederriemen um das Fernglas und legt es zurück. Wieder greift er mit beiden Händen nach der Wäsche und schichtet sie akkurat über das Fernglas. Dann schließt er die Schublade.

    2
    Wolfgang Wessel sitzt hinter seinem großen Schreibtisch, der sich über die ganze Raumbreite unter den Fenstern hinzieht, und sieht die aktuellen Einkaufspreise des Amsterdamer Blumengroßmarktes auf dem Bildschirm seines PCs durch. Die dürfte er eigentlich noch gar nicht haben, aber er ist seit Jahren dabei und man hat so seine Verbindungen. Auf diese Weise kann er seinem Sohn, der nachts um ein Uhr mit fünf Fahrern und ebenso vielen LKWs losfährt, sagen, bis zu welchen Preisen er mitbieten soll und wann er auf jeden Fall aussteigen muss.
    Mechanisch schreibt er die Höchstgebote hinter Margeritenstämmchen auf Zwölferpaletten, Gerberagebinde zu 250 Stück, Gladiolen … Baccararosen … Dann schreibt er die Gesamtstückzahl dazu und wie viele der jeweiligen Sorte die Fahrer auf welche LKWs verladen sollen.
    Jetzt, bei der Hitze,

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