Morgen komm ich später rein
Aktivitäten, Maßnahmen zum Stressabbau, gesunde
Schlafrhythmen und eine allgemein positive Lebenseinstellung. Der Wissenschaftler ist sicher: »Insgesamt hat sich gezeigt,
dass nahezu alle gesunden Gewohnheiten, die wir in unserer Studie abgefragt haben, mit der Wahrnehmung höherer Flexibilität
zusammenhingen.« Das Vorurteil des Heimarbeiters als Couch-Potatoe, der Chips essend Filme schaut und mittags schon das erste
Bier aufmacht, ist also offensichtlich falsch.
Einfach weniger zu arbeiten, ist eine Idee, mit der man den meisten Chefs nicht kommen muss. Zu Unrecht, wie Wissenschaftlerinnen
der Universitäten von Michigan und Montreal gemeinsam herausfanden: Eine verringerte Arbeitslast kann vielmehr genau der nächste
Schritt sein, wenn es darum geht, Top-Performern ihre |124| perfekte Arbeitsumgebung maßzuschneidern. Nachdem die Forscherinnen amerikanische und kanadische Firmen befragt haben, die
sechs Jahre lang mit reduzierten Stunden experimentiert hatten – darunter IBM, Starbucks, die Beratungsfirma Deloitte & Touche
und der Lebensmittelkonzern General Mills – stand das Ergebnis fest: »Es ist nicht klug, wenn Unternehmen talentierte Leute
anstellen, mit Arbeit überladen und sie dadurch zur Kündigung bringen«, so Ellen Ernst Kossek, eine der Studienleiterinnen.
Vielmehr zahlt es sich aus, individuelle Arbeitspläne für Angestellte zu entwickeln. So können Top-Performer mit einer reduzierten
Arbeitsbelastung ihren Job besser ausüben und fühlen eine größere Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber, weil sie weniger gestresst
sind und ihren familiären Verpflichtungen besser nachkommen können. In der Folge steigt die Produktivität der Wenigerarbeiter
und die Kündigungsrate sinkt, was wiederum zu Kostenersparnissen für das Unternehmen führt. »Manche dieser Vorteile sind kontraintuitiv«,
gibt Kossek zu, »aber das ändert nicht daran, dass sie real sind.«
Dass weniger zu arbeiten positive Effekte für den Arbeitgeber hat, scheint auf den ersten Blick paradox – und doch haben Forscher
den Zusammenhang eindeutig belegt. Leichter einzusehen sind die Ergebnisse einer Ende 2007 veröffentlichten amerikanischen
Metastudie zum Thema Telearbeit – eine Metastudie wertet andere Studien aus, in diesem Fall 46 – und kann deshalb Aussagen
über eine sehr große und repräsentative Zahl von Menschen treffen. Hier waren es ganze 12 833 flexibel arbeitende Angestellte.
Das Ergebnis: »Telearbeit ist eine Win-Win-Situation für Arbeitnehmer und Arbeitgeber, mit dem Ergebnis einer besseren Motivation
und Jobzufriedenheit sowie verringertem Stress und Kündigungen auf der Arbeitnehmerseite«, so fasst der Wissenschaftsdienst
Newswise die Schlüsse jener Psychologen zusammen, die Forschungsmaterial über flexible Arbeits-Arrangements aus einem Zeitraum
von zwanzig Jahren untersucht hatten. Der Studienleiter Ravi S. Gajendran formuliert es so: »Unsere Ergebnisse zeigen, dass
Telearbeit einen allumfassend positiven Effekt hat, denn dieses Arrangement gibt |125| dem Arbeitnehmer eine größere Kontrolle, wie er seinen Job ausübt. Telearbeiter haben eine geringere Motivation, ihr Unternehmen
zu verlassen, eine bessere Balance zwischen Arbeit und Familie und ihre Leistung wird von Vorgesetzten höher bewertet.«
Entgegen der allgemeinen Annahme, dass persönliche Anwesenheit im Büro essenziell wichtig für ein gutes Verhältnis zu den
Kollegen ist, sagt Gajendran, dass Telearbeit diesen Kontakt keineswegs negativ beeinflusse, mit einer Ausnahme: Angestellte,
die drei oder mehr Tage pro Woche außerhalb des Büros arbeiteten, beklagten eine Verschlechterung der Beziehungen zu Kollegen
und Vorgesetzten. »Anders als die Erwartungen sowohl in der wissenschaftlichen als auch der Ratgeberliteratur, hat Telearbeit
keinen direkten schädlichen Einfluss auf die Qualität der Beziehungen am Arbeitsplatz und die subjektiv wahrgenommenen Karriere-Aussichten«,
so die Autoren der Studie.
Dass diese Studien alle aus dem amerikanischen Raum stammen, liegt daran, dass das Thema dort schon früher als bei uns im
akademischen Rahmen diskutiert und konsequenter von Teilen der Wirtschaft angegangen wurde – weshalb es in den USA schlicht
mehr empirisches Material zu untersuchen gibt. Dass die Ergebnisse der Kollegen sich aber auf Deutschland und andere Länder
übertragen lassen, bestätigt Wilhelm Bauer vom Fraunhofer Institut, der sich als einer der wenigen
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