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Morgen letzter Tag!

Morgen letzter Tag!

Titel: Morgen letzter Tag! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Süß
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zwar beim Lesen die Augen verderben, aber uns dadurch wenigstens auch immer daran erinnern, dass wir unser Bestes geben. Geräte werden nicht auf Standby gehalten, sondern ausgeschaltet.
Und fliegt man in den Urlaub, dann spendet man eine meilenadäquate Summe als Ablass an » Atmosfair«.
    Abb. 3: Mei, die Antwort auf diese Frage ist halt komplex.
    Tja, und das war’s dann. Nein, noch nicht ganz.
    Man kann sich erregen, wenn man die Nachrichten schaut. Dabei allerdings kann man ganz leicht den Wesensraum der unfreiwilligen Komik betreten.
    Kürzlich sah ich eine Sendung im Fernsehen. Verhandelt wurde– wohl recherchiert– der Zustand der Weltmeere, der freilich ein schlimmer ist. Überfischung. Schwindende Artenvielfalt. Verschmutzung. Erwärmung. Bröselnde Kontinentalhänge. Ausbleichende Korallenriffe. Das volle Programm. Zwischenrein erläuterte kundig Frank Schätzing Fragen zu Biologie, Evolution und Philosophie. Als Stellvertreter für emotionale Aufgewühltheit war ein bekannter deutscher Schauspieler vor die Kamera gebeten worden, der sich bestimmt auch privat für die ein oder andere gute Sache engagiert. Dazu nun aber zweierlei.
    Erstens hat diese Ersatzempörung einen Effekt, der dem eingespielten Lachen bei Sitcoms nicht unähnlich ist. Man muss zwar bei vielen Sitcoms selber nicht lachen, aber man weiß zumindest, an welchen Stellen man hätte amüsiert sein sollen. Man lässt lachen. Man hat das eigene Gelächter sozusagen outgesourct. Und ebenso lässt man hier empfinden.
    Man hat die Empörung, das angemessene Gefühl, das man haben sollte, wenn einem furchterregende Fakten über die Weltmeere um die Ohren gehauen werden, auf Dritte übertragen, die sich stellvertretend empören: Wie es denn nur möglich sei, dass wir Menschen, obgleich mit der Fähigkeit der Erkenntnis gerüstet, solche Zustände nicht nur zugelassen haben, sondern auch noch immer weiter zulassen, obwohl sich schon Furchtbarstes am Horizont ankündigt. Kurz: Why?
    Das ist alles richtig. Dieses Richtige sagte der empörte Schauspieler, zweitens, aber auf den Malediven. Dort ist es wunderschön, und ich kann jeden verstehen, der immer wieder seine guten Vorsätze, nicht länger Teil des Problems sein zu wollen, über Bord wirft und dort hinfliegt. Aber wenn man sich als Europäer auf den herrlichen Inseln im Indischen Ozean befindet, hat man eigentlich das Recht verwirkt, mit Wort-zum-Sonntag-Miene die große Why?-Frage zu stellen. Immerhin wird er nicht mit einem Ruderboot hingepaddelt sein.
    Also man sieht: Man kommt nicht heraus aus der komplexen Maschine unserer Weltuntergangserzeugung. Man ist ein Teil davon. Wettert man gegen sie, läuft man leicht Gefahr, sich lächerlich zu machen. Die Handlungsanweisungen zum nachhaltigen Verhalten taugen, so richtig sie sein mögen, allein dazu, dass man sich selbst besser fühlt. Den Klimawandel werden wir mit der Vermeidung der Standby-Funktion von Geräten nicht aufhalten, ebenso wenig wie mit einem Drei-Liter-Auto die kommenden Rohstoffkriege.
    Wir lernen, unsere Antwort auf die Komplexität der Welt bleibt unbefriedigend in jeder Hinsicht. Sie ist entmutigend. Man fühlt sich machtlos.
    Ganz anders die Antworten der apokalyptischen Matrix. Ihre Antworten sind befriedigend. Sie geben dir Bedeutung, selbst dann, wenn du nur ein Gebrauchtwagenhändler bist. Denn alles, was du tust, ist bedeutend. Wenn du masturbierst, dann weinen die Heiligen. Wenn du sündigst, dann bringst du das Weltgefüge zum Wanken. Wenn du dich für die gute Sache opferst, bist du kein Idiot, sondern ein Märtyrer.
    Das ist schon sexy! Man braucht sein Leben nicht wirklich infrage zu stellen, indem man einfach die falschen Fragen stellt. Anstatt nämlich zu fragen: » Will ich weiter an der Vernichtung der Welt teilhaben? Will ich weiter für Ungerechtigkeit und Not mitverantwortlich sein?«, werden Fragen gestellt wie: » Liebe ich Gott genug? Habe ich genügend Ehrfurcht? Erkenne ich den Teufel, wenn ich ihn sehe?«
    So, jetzt könnten Sie freilich meinen, ich wäre als typischer Vertreter des alten Europa aber dennoch mit unserem Verhalten gegenüber der Komplexität letztlich einverstanden. Immerhin gibt es bei uns wenigstens nur im geringen Maße Fundamentalismus. Sicher, jede Woche gibt es auch in Deutschland Teufelsaustreibungen, denn der Aberglaube hat auch bei uns eine Heimstatt. Wenngleich sich nur selten hiesige Priester finden, die einen Exorzismus durchführen. Das machen in Deutschland dann meist

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