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Morgen letzter Tag!

Morgen letzter Tag!

Titel: Morgen letzter Tag! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Süß
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beurteilen, weiß, dass man neben so einem tonnenschweren Panzerfahrzeug ins Grübeln kommt. Was passiert wohl, wenn ich mit dem zusammenrumple? Dann hat der vermutlich einen eingedellten Kotflügel. Und ich bin tot. Das wiederum erzeugt das Bedürfnis, fürderhin nicht mehr in einem hochvernünftigen Smart zu sitzen, sondern die Welt des Straßenverkehrs wie die Zahnarztgattin von oben zu sehen. SUV s schützen einen also– wovor? Vor der Unsicherheit, die sich einstellt, wenn man neben ihnen an der Ampel steht. Ein Produkt, das über seinen Verkauf die Nachfrage nach sich selbst automatisch mit erzeugt. Wiederum Applaus!
    Von außen betrachtet, ist das alles freilich offensichtlicher Wahnsinn. Man kauft riesige, völlig unvernünftige Autos, weil man vernünftigerweise Angst vor den Dingern hat. Rational wäre es also, auf so ein Auto zu verzichten. Die Sorge um das eigene Wohlbefinden und um das der Kinder aber sorgt dafür, dass man bei dem irren Wettbewerb um das größte Fahrzeug mitmacht. Was wiederum völlig verständlich ist, weil einem die Sorge um die eigene Familie und das eigene Wohl nun mal deutlich näher liegt als die abstrakte Sorge um eine vernünftige Welt. Das Problem ist also, dass vernünftigerweise alle auf SUV s verzichten müssten. Aber das kann man nicht verlangen.
    Also sind wir einmal mehr in der Situation, in der jeder sagen wird, ich würde vernünftig sein, wenn alle vernünftig wären. Alle sind aber nicht vernünftig, deswegen bin ich allein es auch nicht. Weil wenn alle unvernünftig sind, ist es vernünftig, ebenfalls unvernünftig zu sein, weil man sonst als einzelner Vernünftiger von den Unvernünftigen mindestens übervorteilt, im schlimmeren Fall sogar platt gefahren wird. Die mentale Geste, die hier anwest, findet sich exemplarisch in der Aussage: » Wenn ich es nicht mache, macht es ein anderer.«
    Mit diesem Satz sah sich der Computerpionier und Denker Joseph Weizenbaum bei seinem Feldzug gegen die Unvernunft des Öfteren konfrontiert. Zum Beispiel bei einem Vortrag in Berlin, als er versuchte, angehende Wissenschaftler davon zu überzeugen, dass sie für das verantwortlich sind, was aus ihrer Forschung gemacht wird. Eine moralisch gesehen belastende Position, weil ja der größte Teil der wissenschaftlichen Forschung durch Gelder der Rüstungsindustrie angetrieben wird. Wenn man also etwas vermeintlich Harmloses entdeckt oder erfindet, könnte das in der Folge zu etwas gänzlich Unharmlosen werden. Denken Sie nur an Alfred Nobel, der sein Dynamit entdeckte, um Sprengungen im Bergbau gefahrloser zu machen, oder an Otto Hahn und die Kernspaltung (siehe Abb 1: im Abschnitt » One World. No Vision«). Wenn man allerdings im Auge behalten würde, das aus Gedankengut Gedankenschlecht werden kann, dann darf man so manche Forschung überhaupt nicht betreiben. Betreibt man sie aber nicht, bleiben Preise, Ehrungen, Doktortitel und Eigentumswohnungen aus. Dumme Sache das. Also klagte einer der von Professor Weizenbaum moralisch belästigten Studenten dem Auditorium sein Leid mit dem Satz: » Wenn ich es nicht mache, macht es ein anderer.« Und da hatte er freilich recht. Professor Weizenbaum aber entgegnete: Man befände sich in Berlin, einer pulsierenden Großstadt mit all ihren Vor- und Nachteilen. Zu den Nachteilen aber gehöre es, dass Frauen vergewaltigt würden. Jedes Jahr würden in Berlin Frauen vergewaltigt, das sei eine Tatsache. Und wenn aber nun klar sei, dass ständig Frauen vergewaltigt würden, dann könne der junge Mann doch auch jetzt gehen und eine Frau vergewaltigen, denn, wenn er es nicht tut, macht es ein anderer.
    Das ist jetzt freilich gemein und polemisch, bringt aber im Wesentlichen unser derzeitiges moralisches Dilemma auf den Punkt. Keiner will direkt für Ungerechtigkeit, Gewalt oder Verbrechen verantwortlich sein. Und die meisten sind auch tatsächlich überhaupt kein bisschen kriminell. Grausamkeit und Gewalt kämen ihnen nicht den Sinn. Die meisten wollen, dass es ihren Mitmenschen gut geht, und sei es nur deswegen, weil sie dann nicht von deren Anspruch auf Mildtätigkeit belästigt werden. Aber wohl nicht nur. Es ist uns ein menschliches Bedürfnis zu glauben, die Welt sei gut und gerecht. Und wenn Mitmenschen unverschuldet in Not geraten, dann tut uns das leid.
    Auf der anderen Seite aber wissen wir längst, dass wir Teil eines ausbeuterischen brutalen Systems sind und dass die Waren und Produkte, die uns umgeben, mit Blut, Gewalt und Ungerechtigkeit

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