Morgen letzter Tag!
erkauft sind. Wir wissen, dass unsere schicke Billigkleidung von kleinen chinesischen Mädchen genäht worden ist. Wir wissen, dass unsere Mobiltelefone Komponenten enthalten, die den Jahrzehnte andauernden Bürgerkrieg im Kongo in Gang halten, wir wissen, dass die schicken Nespresso-Kapseln allen Geld und Prestige bringen, nur den indianischen Kaffeepflückern nicht und und und… Und dennoch, obwohl wir keine schlechten Menschen sind, ändern wir unser Verhalten nicht. Ja, mehr noch, die, die versuchen, ihr Verhalten anzupassen, nennen wir abfällig Ökos oder Gutmenschen.
Unsere moralischen Urteile sind also immer nur direkt möglich. Das institutionalisierte Verbrechen, das sich als (notwendige) Wirtschaftsform tarnt, ich würde es gern (im Gegensatz zum Allgemeingut) » Allgemeinschlecht« nennen, empfinden wir nicht als böse. Nicht mal dann, wenn wir von Berichten über Ausbeutung und Bürgerkrieg ehrlich erschüttert sind. Freilich verstehen wir dann, dass auch wir Teil dieser Vorgänge sind, und fühlen uns kurz mulmig. Was allerdings am Ende wirklich zählt, ist die Tat, ist das, was in der wirklichen Welt stattfindet, und nicht, was man wollte oder was man empfunden hat, als man es nicht wollte. Das sind alles letztlich Fragen für Anwälte, die auf mildernde Umstände plädieren wollen.
Dennoch, bei jedem Einkauf müssten wir uns die sozialen Zusammenhänge oder Fragen der Nachhaltigkeit mühsam intellektuell herbeikonstruieren. Wir empfinden sie nicht. Wenn es ans Shoppen geht, dann geht es um mächtigere Gefühle, um Anpassung oder um Nonkonformismus (der, wenn alle Nonkonformisten sind, ja wiederum konform wird). Es geht um Erotik, um mögliche Geschlechtspartner, um gesellschaftlichen Status. Alles freilich viel wichtiger als » ferne« Ungerechtigkeiten oder der nicht nachhaltige Umgang mit der Umwelt. Sie sind abstrakt und deswegen nur mittelbar für das Erleben wichtig. Mode und Norm sind unmittelbar. Aber auf der anderen Seite wissen wir, dass auch sie, obwohl sie unsere Gefühle organisieren, erlernt sind. Eingepflanzt von der großen kapitalistischen Wunschmaschine. Also könnte man diese Gefühlscluster auch ändern.
Wir könnten ein neues » man« konstruieren, das Verstöße gegen Nachhaltigkeit oder soziale Gerechtigkeit beim Einkauf oder ähnlichen Handlungen im Lebensvollzug als Übertretung wahrnehmbar macht. Billigkleidung vom Ausbeuterbetrieb zu kaufen könnte zu einem » das tut man nicht« werden. Ebenso wie übermäßiger Energie- oder Wasserverbrauch oder Ähnliches. Dazu allerdings müsste man dieses neue Gefühl einüben. Das wäre gut. Die Moral in einer komplexen Welt müsste in der Lage sein, auch » um die Ecke« wirksam zu sein, oder sie muss wirkungslos bleiben. Bleibt sie aber wirkungslos, hat sie in einer globalisierten Welt ihre Funktion als Regulator und Vermittler zwischen Individuum und Umwelt verfehlt. Und das wiederum könnte zu– wir erinnern uns: » survival of the fittest«– unserer Ausmendelung aus dem Dasein führen. Wäre doch schad. Wir sind so interessant.
Die Frage aber lautet jetzt freilich: Ist eine solche » um die Ecke« wirksame Moral denkbar? Oder genauer, ist sie verbindlich begründbar? Was man bräuchte, wäre eine Moral, die über dieses oder jenes partikulare Ethos hinausgeht. Also eine allgemein verbindliche Moral. Und da bietet sich das an, was John Rawls und andere im Nachgang der Überlegungen von Immanuel Kant erarbeitet haben. Also eine überzeitliche und translokale Vernunftmoral, die gedanklich auf der sogenannten Goldenen Regel fußt.
Warum man jemandem nicht auf den Kopf schlagen soll– oder gibt es eine vernünftige Moral?
Eigentlich bestechend einfach: Man soll jemandem nicht auf den Kopf schlagen, weil man selbst es nicht mögen würde, wenn einem jemand auf den Kopf schlägt. Immerhin könnte das zu schlimmen Schmerzen oder je nach Heftigkeit des Schlagens sogar zu irreparablen Schäden führen, und das würde man nicht wollen. Deswegen geht man davon aus, dass niemand es gern mag, wenn man ihm (oder ihr) auf den Kopf schlägt. Was aber wiederum bedeutet, dass alle nicht wollen, dass ihnen auf den Kopf geschlagen wird. Zu allen aber, das wissen wir aus der Mengenlehre, gehört jeder Einzelne dazu. Deswegen gilt auch die Regel des Anderen-nicht-auf-den-Kopf-Schlagens für jeden Einzelnen. q. e. d.
Trotz dieser unmittelbar einleuchtenden Argumentation hat diese Regel, die auch die » Goldene« genannt wird, in der
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