Morgen trauert Oxford
der Innenraum dunkel. Aber als die Ampel umsprang und Kate am Bahnhof vorüberfuhr, fiel ihr plötzlich ein, wo sie den Mann im schwarzen T-Shirt und in Jeans schon einmal gesehen hatte. Radcliffe Square. Er war es gewesen, der die junge Frau mit den leeren Augen herumkommandiert hatte.
In Ost-Oxford kümmerte sich Angel um die Innenreinigung des Hauses.
»Wenn wir hier tatsächlich eine Woche bleiben wollen, müssen wir die Sch … den Schmutz beseitigen«, hatte sie verkündet. Erfreut hatte Ant zur Kenntnis genommen, wie sie sich im letzten Augenblick für ein gesellschaftsfähiges Wort entschied. Vielleicht wurde sie des allgegenwärtigen, auf jeden ihrer Ausbrüche folgenden Chors: »Nicht fluchen, Angel« und der unausweichlichen Antwort: »Verzeihung, Ant« allmählich müde. Vielleicht passte sie sich aber auch langsam den Gewohnheiten der Familie an und wollte es ihnen gleichtun.
Nachdem sie über den Schock, in Oxford ein College namens Leicester zu finden, hinweggekommen war, hatte sich Angels Verhalten ausgesprochen vorteilhaft verändert, fand Ant. Sie hatte sich mit Inbrunst dem Haushalt gewidmet. Wenn der Eigentümer zurückkehrte, würde er seine Bettwäsche gewaschen, gelüftet und ordentlich gefaltet im Schrank vorfinden. Alle Teppiche waren gesaugt worden, die Badezimmer blinkten vor Sauberkeit. Selbst das Gitter des Gasherds und die Grillpfanne mit den eingebrannten Fettresten sahen wieder einigermaßen benutzbar aus. Das Zimmer, in dem sie den Abend vor dem Fernseher verbrachten, war jetzt warm, sauber und gemütlich. Angel hatte von ihrem erbettelten Geld drei Pfund fünfzig in einen dicken Blumenstrauß investiert. Außerdem hatte sie ein paar bunte Läufer gefunden und über den fleckigen Samt des Sofas und einen Stuhl drapiert. In einem der Schlafzimmerschränke hatte sie sogar ein paar Sofakissen aufgetrieben. Zwar passten die Sachen nicht wirklich zueinander, aber der Gesamteindruck war erheblich freundlicher als bei ihrer Ankunft.
Ant beobachtete Angels Gesicht. Sie war dabei, den Fettrand in der Spüle zu schrubben, und ihm fiel auf, dass er sie noch nie derart angeregt erlebt hatte. Ob sie die Suche nach dem, was sie verloren hatte, nun schließlich doch aufgeben wollte? Sicher, sie hatte keine Erinnerung mehr an ihr vergangenes Leben – aber brauchte sie die denn überhaupt? Mit Ant und der Familie hatte für sie ein neues Leben begonnen. Vielleicht erkannte sie, dass das viel wichtiger war.
Sie ist eine gute kleine Hausfrau, dachte Ant. Sicher wird sie auch eine gute kleine Frau werden.
Garsington. Hier also wohnte Lady Ottoline Morrell. Hierher lud sie die selbstverliebten, gelangweilten Jetsetter von Bloomsbury zum Jour fixe ein. Passenderweise hatte auch Ottoline in eine reiche Oxforder Bierbrauerfamilie eingeheiratet, allerdings saß ihr Ehemann als Abgeordneter im Parlament, und Bier war bei ihren Gesellschaften verpönt.
Kates erster Eindruck von Garsington war der einer langen, geraden Straße, die rechts und links von hässlichen, grauen Häusern aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg flankiert wurde. Durchaus nicht das, was sie sich als Wohnort des pompösen Professor Adams vorgestellt hatte. Doch nachdem sie seiner Wegbeschreibung folgend nach links abgebogen war, erreichte sie einen älteren, wesentlich attraktiveren Teil des Dorfes.
Das Old Buttery war ein lang gestrecktes, verschachteltes, aus Natursteinen erbautes Haus mit einem etwas krummen Schindeldach und einer Eichentür. Der Türklopfer stellte einen schwarzen Löwenkopf dar.
»Der Name Old Buttery ist die Erfindung eines der letzten Eigentümer«, erklärte Professor Adams, als er Kate ins Haus bat. »Er fand die Adresse Upper Church Lane Nummer sechs nicht beeindruckend genug.«
Ganz im Gegensatz zu Olivias überfrachteten Zimmern, in denen Kate sich nicht wohl gefühlt hatte, schien das Mobiliar im Haus des Professors über Generationen hinweg von seiner Familie gesammelt worden zu sein. Mit Chintz bespannte Sessel, verblichene Vorhänge, von irgendeiner längst verstorbenen Großtante eigenhändig bestickte Kissen, robuste, schwach nach Bienenwachs duftende Möbel – und das Ganze bedeckt mit einer dicken Schicht Hundehaare. Geradezu der Inbegriff englischen Landlebens. Alles sah aus, als wäre es in diesem Haus gewachsen und entstanden. Bestimmt war niemand in ein Möbelgeschäft gegangen und hatte diese Teile bestellt. Kate konnte sich allenfalls vorstellen, dass die verblüffend harmonische
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