Morgen trauert Oxford
ausgemalt hatte – sogar mehr als das. Aber ebenso gut konnte es eine Wäscheliste oder eine Mitteilung an den Milchmann sein, mit der Bitte um anderthalb Liter teilentrahmte Milch und einen großen Becher Erdbeerjoghurt.
Die Schrift auf dem Blatt bestand aus parallelen Federstrichen. Die Striche hatten keine Schleifen und unterschieden sich ausschließlich durch ihre Länge.
»Diese Handschrift ist einigermaßen gewöhnungsbedürftig zu lesen«, erklärte Frances.
»Das können Sie laut sagen.«
Die Person, die den Brief, oder was auch immer es sein mochte, geschrieben hatte, musste unter Papiermangel gelitten haben. Zwar hatte sie einen zugegeben knappen Raum zwischen den Zeilen gelassen, aber als sie am unteren Rand des Bogens angekommen war, hatte sie ihn um neunzig Grad gedreht und noch einmal fast ebenso viel im rechten Winkel zum bisherigen Text geschrieben. Anschließend wurde das Blatt umgedreht und auf der anderen Seite weitergemacht. Das Papier war so dünn wie Luftpostpapier, die Tinte sehr schwarz und die Feder alt und breit. Die Schrift der einen Seite war auf der Rückseite deutlich zu erkennen.
»Wie gehen Sie überhaupt vor, um es zu dechiffrieren?«
»Mit einem Alphabet«, antwortete Frances.
»Man liest es durch und sucht nach irgendeinem erkennbaren Wort«, erklärte Brendan. »Hier zum Beispiel hat sie die Seite nicht ganz voll geschrieben, ehe sie sie drehte. Die letzte Zeile ist daher leichter zu lesen.«
»Leicht ist ein sehr relativer Begriff«, erwiderte Kate, die immer noch nichts erkennen konnte.
»Schauen Sie, Liebes«, griff Frances ein. »Ungefähr das Erste, was wir tun, ist nach Eigennamen zu suchen, die wir möglicherweise erwarten können. Namen von Freunden, Familienmitgliedern oder Ortsnamen. Dieses Wort hier ist wahrscheinlich so ein Eigenname: Es beginnt mit einem Großbuchstaben und ist recht lang. Acht Buchstaben.«
»Wenn Sie es sagen«, meinte Kate zweifelnd. Doch bei näherer Betrachtung der Striche auf dem Papier begann sie allmählich zu verstehen, wovon Frances sprach. »Der Anfangsbuchstabe könnte ein T sein«, fuhr sie zögernd fort.
»Ich sehe das auch so«, bestätigte Frances. »Meiner Meinung nach lautet dieses Wort: ›Tringham‹.«
»Ich stimme ihr zu«, ließ sich Brendan von der anderen Seite vernehmen. Kate spürte einen freundschaftlichen Schubs seines enormen Oberschenkels gegen ihren.
»Wenn wir mit unserer Annahme Recht haben, verfügen wir damit bereits über acht Buchstaben unseres Alphabets. Allerdings benutzt der Schreiber zwei verschiedene Formen für R und S.«
»Und natürlich müssen wir die Buchstaben überprüfen, wenn wir über andere bekannte Worte stolpern«, fügte Frances hinzu.
»Es ist immerhin ein Anfang«, sagte Brendan. Und mit der Geste eines Fernsehkochs, der soeben verkündet hat: »Hier sehen Sie das von mir vor der Sendung vorbereitete Gericht«, überraschte er Kate mit einem weiteren Blatt.
»Sehen Sie sich das einmal an. Das hat Frances gemacht.« Sie hatte die acht Buchstaben des Wortes »Tringham« säuberlich untereinander geschrieben, einige weitere hinzugefügt und die Übersetzung ordentlich daneben platziert.
Kate nickte. Wenn man so vorging, würde es etwa einen Monat dauern, die eine Seite zu lesen.
»Ob Sie es nun glauben oder nicht, später wird es einfacher«, sagte Frances. »Wenn Sie einmal Ihr Alphabet aufgeschrieben und sich eingelesen haben, wird es vergleichsweise leicht.«
»Sie hat absolut Recht«, nickte Brendan. »Ich weiß sehr wohl, dass Sie sich jetzt fragen, ob wir je herausbekommen, was auf dieser Seite steht, aber ich versichere Ihnen, wir werden es erfahren.«
»Und wie Sie hier sehen können, haben wir bereits einige Fortschritte zu verzeichnen.« Stolz wies Frances auf das Blatt mit dem Alphabet, wo sie bereits fünfzehn Buchstaben aufgelistet hatte.
»Ich habe da noch ein paar Fragen«, sagte Kate langsam, wobei sie überlegte, wie sie sie formulieren sollte, ohne die Adams’ gegen sich aufzubringen. Sie begann mit der leichteren. »Wissen wir schon, wer diesen Brief, oder was auch immer es sein mag, geschrieben hat?«
»Nicht ganz sicher«, antwortete Brendan. »Leider gibt es keine Unterschrift, und wir haben im Augenblick auch noch nichts, womit wir das Schriftstück vergleichen können. Am ehesten tippen wir auf Ellen, aber dafür müssen wir erst einmal den Rest sichten dürfen …« Er unterbrach sich.
»Sie sind doch Olivias Chef. Warum bitten Sie sie nicht
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