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Morgenlied - Roman

Morgenlied - Roman

Titel: Morgenlied - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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würde er ein Vorhängeschloss kaufen, dachte er, damit der Bastard nicht hereinkam.
    Natürlich konnte er auch jetzt schon gehen. Er konnte seine Sachen packen, sowohl Cals als auch Fox’ Eltern würden ihn jederzeit aufnehmen. So waren sie eben.
    Aber er musste durchhalten. Er musste dem alten Mann und vor allem sich selbst zeigen, dass er durchhalten konnte. Noch drei Jahre bis zu seinem achtzehnten Geburtstag, dachte er, und dann war er frei.
    Das stimmte nicht ganz, dachte Gage jetzt. Er hatte durchgehalten, und der alte Mann hatte nie wieder die Hand gegen ihn erhoben. Nach drei Jahren war er gegangen. Aber Freiheit? Das war eine andere Geschichte.
    Man trug die Vergangenheit mit sich herum, dachte er, schleppte eine schwere Kette hinter sich her, ganz gleich, wie weit man nach vorne schaute. Eine Weile konnte er sie ignorieren, aber entkommen konnte er seiner Vergangenheit nicht. Hollow, die Menschen, die er liebte, und sein Schicksal zogen ihn immer wieder hierher zurück.
    Er stand vom Computer auf und ging hinunter, um sich noch einen Kaffee zu holen. In der Küche legte er eine Runde Solitär. Es beruhigte ihn, die Karten in der Hand zu halten, sie zwischen seinen Fingern zu spüren.
Als es an der Tür klopfte, blickte er auf die Uhr. Anscheinend kam Cybil früher als gedacht. Aber als er die Tür öffnete, stand Joanne Barry da. »Hey.«
    Sie hatte die dunklen Haare zu einem Zopf geflochten, und sie sah hübsch und schlank aus, wie sie in Jeans und Baumwollbluse vor ihm stand. Sie küsste ihn zur Begrüßung, wie sie es bei all ihren Lieben machte, auf die Stirn, die Wangen und den Mund.
    »Danke für die Orchidee.«
    »Gerne. Schade, dass du nicht da warst, als ich sie vorbeigebracht habe. Möchtest du hereinkommen? Hast du einen Moment Zeit?«
    »Ja, für ein paar Minuten komme ich gerne herein.«
    »Ich kann dir etwas zu trinken anbieten.« Er führte sie in die Küche.
    »Es überrascht mich immer wieder, wie schön Cals Haus ist.«
    »Wirklich?«
    »Ja, dass er, dass ihr alle erwachsene Männer seid. Manchmal wache ich nachts auf und denke: Oh, ich muss aufstehen. Die Kinder müssen zur Schule. Aber dann fällt mir ein, dass die Kinder ja schon groß sind und nicht mehr zu Hause leben. Einerseits bin ich dann erleichtert, aber es versetzt mir auch einen Stich ins Herz. Ich vermisse meine Kleinen.«
    »Du wirst uns doch nie los.« Da er Jo kannte, bot er ihr erst gar keine Cola an. »Ich kann dir Wasser anbieten oder einen Grapefruitsaft.«
    »Mach dir keine Umstände, Gage. Ich habe keinen Durst.«

    »Ich könnte auch Tee machen - oder du vielleicht. Wahrscheinlich...« Er brach ab, als er die Träne sah, die ihr über die Wange rollte. »Was ist los?«
    »Die Nachricht, die du mir mit der Orchidee hinterlassen hast.«
    »Ich hatte gehofft, dass du da wärst, weil ich mit dir reden wollte. Ich war auch bei Cals Mom, aber...«
    »Ich weiß. Frannie hat es mir erzählt. Du hast geschrieben: >Weil du immer für mich da warst. Weil ich weiß, dass du immer für mich da sein wirst.<«
    »Das ist ja auch so.«
    Seufzend schlang sie die Arme um ihn und legte den Kopf an seine Schulter. »Als Eltern machst du dir dein ganzes Leben lang Sorgen und Gedanken. Habe ich das richtig gemacht? Hätte ich lieber das und das sagen, so oder so reagieren sollen? Und dann sind deine Kinder auf einmal erwachsen. Und du machst dir immer noch Sorgen und Gedanken. Wenn du Glück hast, kommt eines Tages eins deiner Kinder...« Sie hob den Kopf und blickte ihn an. »Du bist nämlich mein Kind und auch Frannies. Und dann kommt eins deiner Kinder und schreibt dir ein paar Zeilen, die dich mitten ins Herz treffen. Und alle Sorgen vergehen.« Sie lächelte ihn an. »Für einen Augenblick jedenfalls. Danke für diesen Augenblick, Baby.«
    »Ohne dich und Frannie hätte ich es nicht geschafft.«
    »Ich glaube, da irrst du dich. Aber wir haben bestimmt geholfen.« Lachend drückte sie ihn fest an sich. »Ich muss gehen. Besuch mich mal!«
    »Das mache ich. Ich bringe dich hinaus.«

    »Sei nicht albern. Ich kenne doch den Weg.« Sie wandte sich zum Gehen, drehte sich aber noch einmal um. »Ich bete für dich und zwar zu allen, die ich kenne, Gott, Göttin, Buddha, Allah und so weiter. Denk immer daran, dass kein Tag vergeht, ohne dass ich euch alle in meine Gebete einschließe. Wahrscheinlich gehe ich den höheren Mächten ziemlich auf die Nerven. Ihr werdet das schon schaffen, ihr alle. Ein Nein lasse ich nicht gelten.«

6
    Er

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