Morgenlied - Roman
hielt Daumen und Zeigefinger ein paar Zentimeter weit auseinander. »Unten am Rücken. Es sieht aus wie eine Drei mit einer kleinen Wellenlinie aus der unteren Rundung, und dann darüber ein anderes Symbol - ein Kreis mit einem Punkt darin.«
»Das ist Sanskrit für das Hindu-Mantra Om. Die vier Teile stehen für die vier Phasen der Konzentration, Wachen, Schlafen, Träumen und transzendentaler Zustand.«
»Ich fand es nur sexy.«
»Das ist es auch.« Cybil drehte sich um und zog ihr T-Shirt ein wenig hoch, damit er die Symbole unten auf ihrem Rücken sehen konnte. »Aber es hat auch eine Bedeutung. Und da du es offenbar im Traum gesehen hast, muss auch dein Traum etwas zu bedeuten haben.«
Sie drehte sich wieder zu ihm um. »Wir wissen beide, dass das, was wir sehen, lediglich eine Möglichkeit ist. Es muss nicht unbedingt eintreten. Und es steckt voller Symbole. Ausgehend von deinem Traum haben wir beide also das Potential, ein Liebespaar zu werden.«
»Um das zu wissen, hätte ich den Traum nicht gebraucht.«
»Und wenn wir ein Liebespaar sind, besteht die Möglichkeit, dass wir einen hohen Preis für das Vergnügen zahlen. Wir könnten weiter spekulieren, dass du mich zwar auf der körperlichen Ebene begehrst, aber nicht auf der emotionalen und mentalen Ebene. Dir gefällt die Vorstellung nicht, es deinen Freunden in dieser Hinsicht einfach nachzumachen. Das sehe ich übrigens genauso. Außerdem ist es irritierend, sich vorzustellen, dass diese Paarbildung Teil eines größeren Plans ist, der vor Hunderten von Jahren schon entworfen wurde. Wie findest du meine Ausführungen bis jetzt?«
»Absolut treffend.«
»Was mich angeht, so denke ich beim Liebesakt nicht an die Möglichkeit, dass man beim Orgasmus von bösen Mächten verzehrt werden kann. Das ist ja vollkommen unromantisch.«
»Bist du etwa auf Romantik aus?«
»Das ist doch jeder. Sollen wir nicht nach draußen
auf die Terrasse gehen? Ich mag den Frühling, und er ist so schnell wieder vorbei. Wir sollten das schöne Wetter ausnutzen.«
»In Ordnung.« Gage nahm seine Kaffeetasse und öffnete die Terrassentür. »Hast du Angst?«, fragte er, als sie an ihm vorbeiging.
»Jeden Tag, seit ich hergekommen bin. Du nicht?«
Er ließ die Tür offen. »Früher schon. Ich habe viel Energie darauf verwendet, es mir nicht anmerken zu lassen, aber dann irgendwann kam eine Phase, in der es mir wirklich völlig egal war. Mittlerweile macht mich die ganze Angelegenheit nur noch wütend. Dich nicht, oder?«
»Nein, sie fasziniert mich eher.« Sie setzte ihre Sonnenbrille auf. »Ich finde es gut, dass wir nicht alle gleich reagieren. So können wir mehr abdecken.« Sie setzte sich und blickte in Cals Garten, der vom Wald eingerahmt wurde. »Erzähl mir von Ann Hawkins.«
Sie schrieb mit, als er ihr von der Begegnung berichtete. »Drei«, begann sie. »Dent und sie hatten drei Söhne. Glaube ist Cals Bereich. Er glaubt nicht nur an sich, an dich, an die Stadt, sondern akzeptiert auch, was er nicht sehen kann. Die Vergangenheit, was vor ihm passiert ist. Hoffnung ist Fox’ Gebiet. Bleibt für dich die Vision dessen, was sein kann. Die zweite Drei- Q, Layla und ich- bildet Untergruppen. Cal und Q, Fox und Layla und jetzt du und ich. Drei in einem - drei Männer, drei Frauen, drei Paare - bilden eine Einheit. Das haben wir auch in der Realität gut hinbekommen, so wie wir den Blutstein wieder zu einem Ganzen gemacht haben.«
»Damit wissen wir aber immer noch nicht, wie wir ihn benutzen sollen.«
»Aber sie hat doch ganz deutlich gesagt, dass wir alles haben, was wir brauchen. Es gibt kein weiteres greifbares Element. Doch. Tränen.« Cybil trommelte mit den Fingern auf ihr Notizbuch. »Sie hat um dich geweint, und wenn ich dich richtig verstanden habe, werde auch ich um dich weinen. Und wenn wir damit den großen, bösen Bastard in die Hölle zurückschicken, tue ich das gerne. Tränen«, wiederholte sie und schloss die Augen. »Sie sind oft Bestandteil magischer Rituale. Ich glaube, für gewöhnlich sind es Frauentränen, aber ich habe nicht allzu viel Ahnung davon.«
»Das gibt es tatsächlich? Etwas, wovon du keine Ahnung hast?«
Sie grinste ihn an und warf ihm über den Rand ihrer Sonnenbrille einen Blick zu. »Es gibt Welten, von denen ich nicht viel weiß, aber fast nichts, was ich nicht herausfinden kann. Wir müssen sehen, hat sie gesagt, und die Vision ist deine und meine Aufgabe, Partner.«
»Ich kann nicht auf Befehl in die Zukunft
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