Morgenlied - Roman
zurückzuziehen. Zu viel Verantwortung, dachte er, als er die vertraute Straße entlangfuhr, viel zu intensiv, viel zu real. Warum zum Teufel hatte er eigentlich versprochen, dass er sich um sie kümmern würde? Es musste wohl daran gelegen haben, wie sie ihn angeschaut hatte. Ihr Blick war stetig und ruhig gewesen, als sie ihn gebeten hatte, sie zu töten. Sie meinte es ernst, und sie vertraute ganz offensichtlich darauf, dass er sie verstand.
Zeit für ein Gespräch, dachte er. Zeit, um sich zu vergewissern, dass sie beide vom gleichen Standpunkt ausgingen. Er wollte nicht, dass jemand von ihm abhängig war.
Warum war er eigentlich nach dem Spiel nicht geblieben? Er hatte sich doch ein Hotelzimmer genommen. Und warum hatte er die Signale von der attraktiven Rothaarigen am Spieltisch eigentlich nicht beachtet? Statt sich mit ihr im Hotelzimmer zu vergnügen, fuhr er jetzt zurück nach Hawkins Hollow.
Darüber dachte er besser nicht zu intensiv nach. Er wollte die Antwort sowieso nicht hören.
Als er die Sirenen hörte, blickte er in den Rückspiegel und dann auf seinen Tachometer. Er war höchstens
fünf Meilen schneller als erlaubt, stellte er fest. Er hatte ja auch keine Eile. Er hielt am Straßenrand. Es überraschte ihn nicht, als er Derrick Napper aus dem Streifenwagen steigen sah.
Napper, der ihn, Cal und Fox seit der Kindheit hasste. Für ihn war es zur Lebensaufgabe geworden, ihnen Ärger zu machen. Vor allem Fox, dachte Gage. Aber sicher war keiner von ihnen vor dem Polizisten.
Das Arschloch, dachte Gage, als Napper auf ihn zukam. Wer erlaubte eigentlich so einem Bastard, eine Waffe und einen Polizeiausweis zu besitzen?
Napper beugte sich zu Gage herunter und grinste breit. »Manche Leute glauben, wenn sie ein schickes Auto haben, können sie das Gesetz brechen.«
»Ja, manche meinen das.«
»Du warst zu schnell, Junge.«
»Vielleicht.« Ungefragt zückte Gage Führerschein und Papiere.
»Was ist das da für ein Behälter?«
»Schreib mir einfach einen Strafzettel, Napper.«
Napper kniff die Augen zusammen. »Du bist Schlangenlinien gefahren.«
»Nein«, erwiderte Gage ruhig. »Bin ich nicht.«
»Zu schnell und Schlangenlinien. Hast du getrunken?«
Gage tippte an den Becher im Halter. »Kaffee.«
»Ich meine aber, dein Atem riecht nach Alkohol. Alkohol am Steuer ist ein ernstes Vergehen, Blödmann.« Er lächelte. »Steig aus. Du musst blasen.«
»Nein.«
Nappers Hand fuhr zu seiner Pistole. »Ich sagte, steig aus dem Wagen, Scheißkerl.«
Langsam zog Gage den Schlüssel aus dem Zündschloss, stieg aus und schloss den Wagen ab. Dabei blickte er Napper unverwandt an. »Ich werde nicht blasen. Ich habe das Recht, es abzulehnen.«
»Ich sage, du stinkst nach Alkohol.« Napper bohrte Gage den Finger in die Brust. Ich sage, du bist ein armseliger Säufer, wie dein alter Herr.«
»Du kannst sagen, was du willst. Die Meinung von Hohlköpfen interessiert mich nicht.«
Napper drückte Gage gegen das Auto. Gage ballte die Fäuste, blieb aber ruhig. »Ich sage, du bist betrunken.« Bei jedem Wort schlug Napper mit der Hand auf Gages Brust. »Ich sage, du hast dich gegen die Festnahme gewehrt. Ich sage, du hast einen Beamten angegriffen. Dann werden wir mal sehen, wie dich das interessiert, wenn du hinter Gittern sitzt.« Erneut schubste er Gage und grinste. »Scheißkerl.« Dann drehte er ihn um. »Arme und Beine auseinander.«
Lässig legte Gage seine Hände auf das Autodach. »Kommt es dir dabei? Gehört das zu deinen Höhepunkten?« Er stieß zischend die Luft aus, als Napper ihm einen Nackenschlag versetzte.
»Halt dein dreckiges Maul.« Napper zerrte Gages Arme hinter den Rücken und legte ihm Handschellen an. »Vielleicht machen wir beide noch einen kleinen Ausflug, bevor ich dich ins Gefängnis werfe.«
»Wie willst du das denn erklären, wenn ich die sechs Zeugen aufrufe, die hier vorbeigefahren sind, während
du mich misshandelt hast? Ich habe mich nicht gewehrt. Ich habe mir lieber die Autonummern gemerkt, darin bin ich gut.« Er zuckte nicht einmal, als Napper ihn erneut heftig gegen den Wagen drückte. »Sieh mal, da kommt ja noch ein Zeuge.«
Gage erkannte Joanne Barrys Kleinwagen. Sie hielt an, kurbelte das Fenster herunter und sagte: »Oh, oh.«
»Fahren Sie einfach weiter, Ms Barry. Das hier ist eine Sache der Polizei.«
Der angewiderte Blick, mit dem sie Napper bedachte, sprach Bände. »Ja, das sehe ich. Brauchst du einen Anwalt, Gage?«
»Sieht so aus. Sag Fox, er soll
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