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Morgenrot

Morgenrot

Titel: Morgenrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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nachvollziehen«, fuhr der Eindringling unterdessen fort. »Schließlich musste ich in den letzten Wochen eine enorme Selbstbeherrschung an den Tag legen, um Sie nicht einfach an einem der öffentlichen Plätze zu stellen, die Sie so sehr lieben. Und nun stehe ich hier - Etienne Carriere vor mir auf dem Präsentierteller.«
    Die letzten Worte ließen Lea zusammenzucken, und die Beklemmung schnürte ihr die Atemluft ab.Vorsichtig ließ sie sich auf dem Sofa zur Seite sinken und erhaschte einen Blick auf eine bullige Gestalt im Türrahmen. Das aufgedunsene Gesicht des Mannes, das von einem feinen Netz unzähliger roter Narben übersät war, unterstrich die unterschwellige Gewalttätigkeit, die von seiner massiven Statur ausging. Die geschorene Glatze schimmerte schwach im Kaminlicht, genau wie die altmodischen Messingknöpfe an seinem Lodenmantel.
    Im Schatten des Ungetüms verbarg sich eine Figur mit gebeugtem Rücken, die knochigen Hände ineinander verschlungen. Schwarze Murmelaugen hinter Brillengläsern, Hakennase und farbloses Strubbelhaar. Auch wenn die Gestalt klein und schwächlich wirkte, so funkelte etwas Verschlagenes in ihren Augen, das Leas inneres Alarmsystem leuchtend rot aufblinken ließ.
    Obgleich dem hünenhaften Wortführer und seinem Schatten etwas Bedrohliches anhaftete, beunruhigte Lea die schweigsame Frau namens Truss am meisten. Deren unverhohlen aggressive Ausstrahlung in Verbindung mit dem Wort »unseresgleichen« verstärkte ihre böse Ahnung, dass Adam hier auf eine gefährliche Kontrahentin gestoßen war.
    Adams Rückenmuskulatur zitterte vor Anspannung, doch offensichtlich siegte sein Beschützerinstinkt über die Kampfeslust, obwohl sie den Verdacht nicht abschütteln konnte, dass Adams Zurückhaltung nicht mehr lange andauern würde.
    In diesem Moment deutete Truss eine Vorwärtsbewegung an, woraufhin Adam leicht in die Knie ging, als wolle er zum Sprung ansetzen. Dabei strahlte er eine derart erregte Energie ab, dass sich die Härchen auf Leas Unterarm wie elektrisiert aufrichteten. Doch da nahm Truss wieder ihre Ausgangshaltung ein, und ein kühles, wissendes Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. Es war lediglich ein Test gewesen -und zugleich ein Versprechen auf mehr.
    Professor Carriere hüstelte und durchbrach somit die Anspannung. Elegant schlug er die Beine übereinander und zupfte den leichten Stoff seiner Hose am Knie zurecht. Auch auf seinem Gesicht lag nun ein Lächeln, gerade so, als wolle er beweisen, dass diese Provokation ihn nicht aus der Ruhe zu bringen vermochte. Aber Lea stellte nervös fest, dass sich das Lächeln nicht in seinen Augen widerspiegelte.
    »Es freut mich, dass du so zufrieden mit dir bist, Adalbert. Schließlich wissen wir beide nur allzu gut, dass das nicht immer so gewesen ist. Was kann ich also für dich tun, damit du für deine Mühen, mir vors Angesicht zu treten, auch entsprechend entlohnt wirst?«
    »Sie denken, ich will verhandeln? Wollen Sie mich beleidigen?« Die Stimme des mit Narben übersäten Mannes wogte vor Überheblichkeit. »Ich bin hier, um mir nach all der Zeit des Wartens und Verzweifeins meine Trophäe zu holen: den Kopf einer heruntergekommenen Kreatur, die viel zu lange schon den Boden beschmutzt, auf dem ich wandle. Meinen wortbrüchigen alten Herrn, der mich zur Sterblichkeit verdammt hat, nur weil ihm plötzlich in den Sinn kam, wie ein Mensch leben zu wollen. Ich habe Ihnen ausreichend Zeit geschenkt, damit Sie Ihre Menschlichkeit vervollkommnen können. Nun ist es an der Zeit, Sie zu richten, Etienne.«
    In diesem Moment gab Adam ein Geräusch von sich. Ein kehliges Knurren, das Lea zutiefst erschreckte. Animalische Angriffslaute passten mit dem schweigsamen, zurückhaltenden Mann, als den sie ihn bislang kennengelernt hatte, kaum zusammen - trotz all der Gespräche über Blut und Triebe. Auch die klaffenden Wunden, mit denen er sie in jener einen Nacht aufgesucht hatte, waren niemals Anlass gewesen, sie zurückschrecken zu lassen vor dem, was er war. Sie hatte sich bis zu diesem Moment geweigert, darüber nachzudenken, was die Herrschaft des Dämons wirklich bedeutete. Sie hatte immer nur Adam sehen wollen, nicht seine dunkle Hälfte ...
    Die Erkenntnis, dass Adam dieser Söldnerin in seiner Lust auf Kampf und Unterwerfung anverwandt war, traf Lea vollkommen unvorbereitet. Zum ersten Mal lud Adams Anblick sie nicht zum Schwärmen ein, sondern machte ihr bewusst, welche Macht in diesem unsterblichen Körper

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