Morgenrot
Transvestiten zu, dessen mächtiger Afro sein Haupt umfing wie ein dunkler Heiligenschein.
»Wie ist die Luft da oben?«, fragte Lea.
»Das ist mit Abstand die originellste Anmache, die mir jemals an den Kopf geworfen wurde. Oder sollte ich besser sagen, gegen den Hüftknochen?« Der Transvestit presste die Lippen schmollend aufeinander, so dass das natürliche Kirschrot seines Mundes aufschimmerte und sich mit dem Lila des Lippenstifts biss.
Lea war restlos begeistert. Rasch fischte sie zwei langstielige Champagnergläser von einem Tablett und reichte eines davon diesem wahr gewordenen Glamourtraum, der es mit spitzen Fingern entgegennahm.
»Auf die Großartigkeit«, schlug sie vor, als sie miteinander anstießen.
»Das kannst du laut sagen, Schätzchen«, erwiderte der Zwei-Meter-Riese und winkelte dabei den linken Arm lasziv an. Mit dem Glas tippte er sich kurz gegen die Brust. »Gregor - und worauf haben dich deine Erzeuger getauft, Zitronenfalter?«
»Lea.«
»Na ja, man kann es sich halt nicht aussuchen, nicht wahr? Mordsparty, oder was denkst du? Wenn ich nicht bald betrunken bin, schlafe ich im Stehen ein wie ein Papagei auf der Stange. Ich hätte Geld dafür verlangen sollen, dass ich überhaupt komme. Was hat dich hierher verschlagen? Wohl kaum die Lust auf hemmungslosen Beischlaf, wenn ich mir die Auswahl hier mal so ganz unauffällig anschaue.«
Nun wusste Lea, warum sie sich zu Gregor hingezogen fühlte: Das war Nadine in einem Männerkörper, der in einem Frauenfummel ein wenig albern, ehe sie antwortete: »Ehrlich gesagt, habe ich nicht die geringste Ahnung, was ich hier soll. Mein Prinz hat mich verschleppt, und als Nächstes fand ich mich, in einen Schmetterling verwandelt, auf diesem Fest wieder - mutterseelenallein.«
»Mutterseelenallein ... es bricht mir das Herz. Da ich ein gutes Mädchen bin, darfst du getrost an meiner Seite bleiben. Wenn ich allerdings etwas Geeignetes zum Ficken finde, heißt es aber husch, husch ins Körbchen. Da bin ich rigoros, verstanden?«
Statt einer Antwort schenkte sie LaGregor, wie sie ihre neue Freundin insgeheim nannte, ein strahlendes Lächeln, auf das LaGregor mit einem sorgfältigen Abtasten der Frisur reagierte.
»Vorschlag von meiner Seite, da ich keine verzweifelten Flattermänner ertrage und Happy Ends liebe: Wie sieht dein Superman denn aus? Vielleicht erblicke ich ihn ja von hier oben.«
»Wunderschön und ausgesprochen maskulin«, entgegnete Lea, die ihr leeres Glas erfolgreich losgeworden war und zwei neue erbeutet hatte.
»Klingt nicht, als hinge dein Herzschlag von seiner Anwesenheit ab. Das enttäuscht mich ein wenig, wenn ich ehrlich bin.« LaGregors Stimme troff vor Ironie.
Lea trank ihr zweites Glas mit einem Zug aus und fühlte sich auf den hohen Absätzen mit einem Mal viel sicherer. »Was hältst du davon, wenn wir uns gemächlich und Champagner trinkend durch dieses Gewühl schlagen? Dabei können wir uns gegenseitig Kuriositäten zeigen, bis die Fanfaren ertönen und mein verschollener Prinz plötzlich vor uns steht.«
LaGregor schaute sie mit ihren schwarz-roten Augen prüfend an, dann sagte sie gedehnt: »Bevor ich mich zu Tode langweile ...«
Entspannt lehnte Adam sich mit dem Rücken gegen die Wand und verfolgte die Spur des Zitronenfalters, der kreuz und quer durch die bunte Blumenwiese schwebte und ein vergnügtes Lachen hinter sich herzog.
Er hatte schon seit einiger Zeit gut verborgen daraufgewartet, dass Lea endlich auf dem Fest erscheinen würde, und er war nicht enttäuscht worden. Die Art, wie sie verloren oben auf der Empore gestanden hatte, und der plötzliche Ausdruck kindlicher Begeisterung in diesem immer viel zu ernsten Gesicht hatten Adam einen Stich versetzt, und fast wäre er die Treppe hinaufgestiegen, um mit ihr zusammen das Fest zu erkunden. Doch da hatte Lea den Rücken durchgestreckt und war in die feiernde Menge eingetaucht, um sich einer einfach unglaublichen Erscheinung anzuschließen.
Nachdem ein Anflug von Enttäuschung abgeklungen war, musste er wider Willen lächeln. Lea hatte sich in den letzten Jahren verändert. Zwar war sie noch nie die Art von Frau gewesen, die auf Rettung wartete, aber nun erschien sie ihm unerschütterlicher. Auch wenn man es dieser in sich gekehrten, leicht egozentrischen Frau auf den ersten Blick nicht ansah, so verfügte sie doch über eine enorme Stärke. Aber das wusste er nur allzu gut. Schließlich hatte sie sogar die Willenskraft aufgebracht, ihm den Rücken
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