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Morgenrot

Morgenrot

Titel: Morgenrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Heitmann
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zu pfeifen begann. Lea war einfach unglaublich, ein wahres Geschenk.
    Der Wind wehte ihm Schneeflocken ins Gesicht, und als Adam aufblickte, sah er weitere Tupfen im blassen Lichtkegel der Straßenlaternen tanzen. Zwar vermochte ihn die Kälte nicht zu berühren, aber er zog die Schultern trotzdem ein Stück hoch und steckte beide Hände in die Manteltaschen. Er warf seinem am Straßenrand wartenden Wagen einen Blick zu, dann entschied er, dass die Nacht zu schön war, um sich nicht ein wenig treiben zu lassen.
    Zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit schlenderte Adam ohne ein Ziel vor Augen auf den Straßen entlang, in Gedanken versunken und nicht darauf bedacht, ob irgendwo in den Schatten eine Gefahr lauern oder ein gefügiges Opfer warten könnte. Ein nächtlicher
    So wäre Adam auch fast in die dunkle Gestalt hineingelaufen, die vor einem Automaten stand, als er schnellen Schrittes um eine Ecke bog. Es war ein junger Mann, der überrascht nach Luft schnappte, als Adams hohe Gestalt knapp vor ihm zum Halten kam. Dann schenkte er ihm ein beschämtes Lächeln. Adam zog die Augenbrauen hoch, doch ein Blick auf den Automaten erklärte die Verlegenheit des Jungen: Er wollte gerade Kondome kaufen.
    Sieh mal einer an, dachte Adam sich. Da hat heute Nacht Jemand mehr Glück gehabt als ich.
    »Ich bin kopfüber los und habe einfach nicht genug Kleingeld eingesteckt«, klagte der Junge Kerl und verpasste dem Automaten einen leidenschaftlichen Schlag. Er trug ungeschnürte Turnschuhe an den Füßen und offensichtlich keine Socken. In der Eile hatte er sich lediglich eine Trainingsjacke übergestreift, kein Schal bedeckte trotz der Kälte seinen Hals, so dass Adam seinen Kehlkopf auf und ab springen sehen konnte.
    Adam spürte, wie sich bei diesem Anblick der Dämon regte, doch zu seiner eigenen Verwunderung kümmerte er sich nicht darum. Stattdessen verzog er den Mund zu einem kameradschaftlichen Grinsen und sagte: »Ich helfe dir aus.«
     

14. Wahre Gechichten
    Lea hatte sich schon früh aus dem Verlag ins Wochenende verabschiedet, da sie dringend einen Lesenachmittag einschieben musste. Ausgerüstet mit einer Kanne grünem Tee, Keksen und einer Wolldecke nistete sie sich auf dem Sofa ein. Sofort sprang ihr die Katze auf den Schoß und begann - begleitet von einem beharrlichen Schnurren -, die Decke mit den Tatzen zu bearbeiten. Als sie versehentlich eine Kralle in Leas Oberschenkel bohrte und diese aufjaulte, warf Minou ihr einen Blick zu, der wohl bedeuten sollte: »Nun stell dich mal nicht so an, Baby!« Eingeschüchtert steckte Lea ihre Nase wieder in eine sorgfältig gebundene Leseprobe.
    Der Autor versuchte sich an einer modernen Version von Joris-Karl Huysmans Gegen den Strich, wie sie nach einigen Seiten feststellte. Huysmans Held, der das Künstliche feiert und alles Natürliche und Menschliche zutiefst verabscheut, hatte schon immer eine seltsameAnziehungskraft auf sie ausgeübt. Das Versinken in eine Welt der Dinge, ihre absolute Überhöhung, diese Verlockung schillerte in dunklen Farben. Aber genau aus diesem Grund hatte Lea Gegen den Strich vor einigen Jahren beiseitegelegt, nachdem sie gerade mal die Hälfte des Buches gelesen hatte. Der Grund dafür waren feine Alarmsignale gewesen, dass dieses Buch von etwas erzählte, mit dem sie lieber nichts zu tun haben wollte.
    Auch diese Leseprobe, die den Versuch unternahm, Huysmans Geschichte in die Gegenwart zu überführen, blätterte Lea mit spitzen Fingern durch. Auf den eng bedruckten Seiten driftete der verkümmernde Held wie in einem Rausch durch virtuelle Welten, die von Frankenstein-Kreaturen belebt wurden. Ein wildes Kaleidoskop, bei dem sie schon bald die Übersicht verlor, da alles mit rasender Geschwindigkeit durcheinandergewirbelt wurde.
    Obwohl die Leseprobe sicherlich nicht die Kraft von Gegen den Strich besaß, so fühlte sie sich trotzdem unsittlich berührt. Es kam ihr vor, als schlichen sich die Gedanken und Ideen des Romans bei ihr ein, um an unbekannten Orten zu nisten. Lea fürchtete sich vor dieser Brut, die dann - eines schönen Tages - ganz plötzlich schlüpfen könnte. Sie hatte in ihrem Leben schon genug Grauenhaftes und Fantastisches erlebt, sie wollte gar nicht erst darüber nachdenken müssen, was sonst noch alles vorstellbar war.
    Außerdem wurde die Gefahr, dass sie diesen exzentrischen Autor zu guter Letzt annahm, mit jeder Seite, die sie las, größer. Dabei hatte sie längst eine stolze Sammlung von eigenwilligen

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