Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung
schon mit dem Baum allein genug zu tun hatte, ohne auch noch auf den verflixten Vogel achten zu müssen», sagte Mummi. «Willst du eine Mohrrübe haben?»
«Ja, bitte», sagte Gaylord, der Mummi beim Kochen half. Er knabberte daran. «Wo kriegst du eigentlich die Babies her?»
«Aus dem Kaufhaus», antwortete Mummi abwesend.
«Wie bitte?»
Mummi war sehr beschäftigt. «Hör mal», sagte sie, «ich dachte, das hättest du alles schon mit Paps besprochen?»
Gaylord verschluckte sich beinahe. «Paps sagt, sie kommen den Damen aus dem Leib. Der ist vielleicht komisch, was?»
«Er hat ganz recht», sagte Mummi, während sie anfing, die Kartoffeln zu schälen. Aber so ging es wohl doch nicht. Sie trocknete sich die Hände ab und setzte sich an den Küchentisch. «Du lebst auf dem Lande», sagte sie. «Du weißt doch, wie es bei den Tieren ist. Also gut, bei den Menschen ist es genauso.» Sie nahm Gaylords Hand. «Gaylord, ich werde wieder ein Baby bekommen. Und bei mir ist es genauso.» Sie machte das doch wirklich großartig. Sie war über sich selbst gerührt. «Es ist alles ganz natürlich.»
Gaylords Gedanken wanderten zur Sau Bessie. «Du meinst, du... wirfst Junge?» fragte er.
Mummi schwieg. «Ja», sagte sie schließlich. «Ich würde es vielleicht nicht ganz so ausdrücken, aber... so ähnlich ist es wohl.»
Gaylord betrachtete seine Mutter mit ganz neuem Interesse, ja, mit einer ganz neuen Hochachtung. Er hätte nie gedacht, daß sie so etwas konnte. «Darf ich dabei zugucken?» fragte erbegierig.
«Nein», sagte Mummi.
«Opa hat mich aber bei Bessie zugucken lassen», sagte Gaylord enttäuscht.
Mummi sagte: «Obwohl Bessie und ich biologisch vieles gemein haben mögen, hoffe ich doch, daß es zwischen uns kleine Unterschiede in Wesen und Charakter gibt.»
Den letzten Satz bekam Gaylord nicht so ganz mit. Er klammerte sich daher an eines der Worte, die er begriffen hatte. «Was für Unterschiede?»
Mummi wurde ungeduldig. «Mein Gott, Gaylord, wenn du zwischen mir und einer alten Sau keinen Unterschied sehen kannst, dann kann ich dir auch nicht helfen.» Sie stand auf und ging zum Spülbecken zurück. Zu ihrer eigenen Überraschung war sie dem Weinen nahe. Sie war wirklich über sich selbst erstaunt. Sie, die sonst immer so kühl und ironisch war, hatten die unschuldigen Fragen des Kindes aus der Fassung gebracht. Das kann nur diese verwünschte Schwangerschaft sein, dachte sie. Aber wenn ich jetzt schon so empfindlich bin, wie soll das erst gegen Ende dieser Zeit werden? Bessie, meditierte sie, würde sich nie so gehenlassen. Vielleicht konnte sie von dem alten Mutterschwein doch noch etwas lernen.
9
Das neue Jahr hatte die offene See erreicht und dampfte mit voller Kraft voraus. Die Tage wurden länger und heller, matter Sonnenschein schimmerte auf den entlaubten Bäumen, der Matsch war dick und zäh, und die Erde geriet bereits in Erregung, den nahenden Frühling erwartend. Aber dann kam der Schnee.
Schnee ist etwas Merkwürdiges. Er kann das nässeste, kälteste und deprimierendste Phänomen der Natur sein, so unbehaglich wie klamme Bettücher. Er kann aber auch die Welt in ein verwunschenes Eiszuckerreich des Entzückens verwandeln. Es hängt ganz von dem Temperament und vom Alter des Betrachters ab und von den sonstigen Umständen.
Rose, die an ihrem ersten Schultag durch den Schnee radelte, haßte ihn. Er haftete an den Speichen, er war tückisch, und als der in Dampf, Schnee und Feuchtigkeit gehüllte Zug in den Bahnhof einfuhr, glich er eher der transsibirischen Eisenbahn als dem Acht-Uhr-zweiunddreißig-Zug von Shepherd’s Warning.
Gaylord liebte den Schnee nicht so sehr, wie jeder von ihm erwartete. Man konnte aus ihm natürlich diese riesigen Schneebälle rollen, die zweimal so groß wurden wie man selber. Aber, ehrlich, was sollte das schließlich? Es ging ihm dabei wie vermutlich manchem Ptolemäer nach der Vollendung einer Pyramide. Das Ding tat einfach nichts. Das gleiche konnte man von Schneemännern sagen. Und da Gaylord ein empfindsames Kind war, fand er auch kein Vergnügen daran, das Gesicht voll Schnee zu kriegen oder sich beim Schneeballen die Hände halb abzufrieren.
Mummi und Paps liebten den Schnee. Sie machten im Schnee lange Spaziergänge, wirbelten ihn mit den Schuhspitzen hoch wie im Herbst die toten Blätter und schüttelten ihn von den Bäumen in ihre lachenden Gesichter. Gaylord, den sie öfter auf diese albernen Ausflüge mitnahmen, versuchte
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