Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung
setzte mehrfach dazu an, etwas zu sagen, fand aber keine Worte. «Was ist denn, Mr. Grebbie?» fragte sie.
Er sah zu Boden. «Darf ich Sie... nicht vielleicht doch küssen, Miss Pentecost?»
Lächelnd stand sie da und streckte ihm mit einer kleinen freundschaftlichen Geste die Hände entgegen. Er trat auf sie zu und küßte sie sehr förmlich auf den Mund. «Danke», sagte er und hielt die Zimmertür für sie auf.
Paps küßte Mummi. Sie lächelten beide. «Ich finde es immer noch schön», sagte sie. «Selbst nach all den Jahren.»
«Wirklich? Und ich dachte, arme alte Mummi, jetzt wählt sie auch noch meine Zahl. Sie hat auch nie eine Abwechslung.»
«Ich brauche gar keine. Komisch mit diesem Spiel, wenn man dabei seinen eigenen Mann küßt, kommt man sich direkt unmoralisch vor.»
Später sangen sie, um das Klavier versammelt, fröhliche Lieder, Weihnachtslieder, alberne, sentimentale Lieder, Scherzliedchen, schwermütige schottische Lieder von Nebel und Not, von Bächen und Bergen, Herzweh und Heide.
Und plötzlich war der Tag vorbei. Alle fühlten sich glücklich und von einer Sorglosigkeit erfüllt, wie sie einem nur selten beschieden ist und nicht für lange. Vielleicht lag es am Wein, vielleicht an den schwermütigen Liedern, vielleicht an Tante Beas albernen Spielen. Und alle gingen hinaus ins Freie, die Jungen Arm in Arm, hinaus in die milde Nacht, um die Gäste abfahren zu sehen. Sogar Rose kicherte. Und Mr. Grebbie erkühnte sich sogar, ihre rechte Hand zu halten, während Bobs ihre linke hielt. «Steig ein, Grebbie», sagte Bobs. Widerstrebend gab Stan ihre Hand frei und kletterte ins Auto. Er steckte den Kopf durchs Fenster. «Auf Wiedersehen, Rose. Und noch vielen Dank.»
«Auf Wiedersehen», antwortete sie abwesend. Sie wandte sich Bobs zu, der noch immer ihre Hand festhielt. «Wiedersehen, Bobs.»
«Auf bald, Rosie», sagte er und zog sie an sich. «Bleib brav. Bis zum nächstenmal.»
Sie kicherte glücklich und ließ sich vor allen von ihm küssen. Einen kurzen Augenblick lang schien alles so einfach und leicht und unkompliziert. Alle Spannungen, alle Zweifel und alle Hemmungen waren wie weggefegt, und sie hielt ihren Liebsten leicht und glücklich, wie niemals zuvor und vielleicht niemals wieder.
8
Schon verschwand Weihnachten wieder in der Vergangenheit, wie ein erleuchteter Zug, den die Nacht verschlingt. Vom alten Jahr blieben nur noch wenige trübselige Tage, in denen sich all die unangenehmen und lästigen Pflichten meldeten, die man so unbekümmert bis nach Weihnachten aufgeschoben hatte. Als nächstes stand der Januar auf dem Kalender; man sah durch den langen Tunnel des Winters die trügerischen Versprechen des Frühlings vor sich liegen und die ganze Niedertracht eines englischen Sommers.
Silvester kam heran. Der einzige Tag des Jahres, den Paps ehrlich haßte und fürchtete, war Silvester. Auf der Schwelle eines Jahres zu stehen und in die Zukunft zu spähen mit all ihren Nöten und Ängsten, war mehr, als er ertragen konnte. Es war noch schlimmer, als sich rückblickend die Versäumnisse, Fehlentscheidungen und Kompromisse des sterbenden Jahres zu vergegenwärtigen.
Das sterbende Jahr! Guter Gott, wie melancholisch das klang. Das Jahr starb und damit ein bißchen von einem selbst. Nicht nur von ihm; von Mummi und Gaylord und den guten Alten; von Beckys Schönheit und Roses schwindender Jugend. Alles starb dahin. Läutet das Alte hinaus, aber läutet nicht das rohe, kalte Neue ein, bevor ich mich mit noch einem Gläschen Port dafür gestärkt habe. Paps, der sonst nicht viel trank, leerte an Silvester immer mindestens eine halbe Flasche Portwein. Das hielt die Gespenster und die Nebelschleier fern.
Gerade an diesem Silvester mußte er über etwas ganz Bestimmtes nachdenken. Erst heute hatte Mummi gesagt: «Liebster, es kann sein, daß ich wieder ein Kind kriege.»
«O nein», hatte er geschrien. «Nicht noch einen Gaylord.»
Sie hatte ihn amüsiert angelächelt. «Sehr enthusiastisch klingst du ja nicht gerade. Du würdest wahrscheinlich lieber eine Romanfigur in die Welt setzen, was?»
«Romanfiguren schreien wenigstens nachts nicht», hatte er gesagt.
Es war fast Mitternacht. Alle lagen schon in den Betten. Paps saß noch am Kamin, rauchte eine Zigarre und betrachtete durch den roten Wein hindurch den tanzenden Feuerschein. Was ist doch ein Glas Port für eine köstliche Sache, dachte er. Hat etwas von Gestalt und Farbe einer Rose und im Schein des
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