Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung
Mantel», sagte Rose. Aber jetzt wußte sie, was sie am liebsten gesagt hätte, nämlich: Verdammt noch mal.
Becky besah sich den Plattenspieler, der noch immer lautstark verführerische Musik spielte. «Aber vielleicht störe ich hier nur», sagte sie. «Komm um Gottes willen nicht mit, wenn du lieber bleiben willst...»
«Doch, doch, natürlich komm ich mit», stammelte Rose. Jetzt konnte sie doch unmöglich bleiben. Was das für ein Gerede gäbe. Und außerdem, Bobs hielt ihr schon den Mantel hin.
«Ich möchte nicht euren jungen Liebestraum stören», sagte Becky verständnisinnig.
«Großer Gott, nein», sagte Bobs.
«Sei nicht so albern», sagte Rose und knöpfte sich ihren Mantel zu. «Wiedersehen, Bobs. Dank für den Tee.»
«Auf bald», sagte er. «Auf bald, Becky.»
Becky schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Und schon waren sie fort. Rose, die auf dem Hintersitz durchgerüttelt wurde, dachte an das warme, erleuchtete Zimmer, das sie eben verlassen hatte, an den Abend, der so verheißungsvoll und aufregend begonnen hatte und jetzt wie eine Kerze einfach ausgeblasen worden war. Ein Abend, der nie wiederkehren mochte, nie wiederkehren würde. Und plötzlich zuckte in ihrem Hirn ein gräßlicher, unwürdiger Verdacht auf. Sie versuchte, ihn im Keim zu ersticken, aber er ließ ihr keine Ruhe. «Woher wußtest du eigentlich Bobs Adresse?» fragte sie und bemühte sich um einen möglichst gleichgültigen Tonfall, aber sie hörte, daß ihre Stimme hart und feindselig klang.
Becky hob ihren Kopf lässig von Peters Schulter. «Ich hab die Polizei angerufen», sagte sie. «Man war dort schrecklich hilfsbereit.»
«Soviel Mühe hast du dir gemacht?» fragte Rose. «Nur damit ich heil nach Hause komme?»
«Aber selbstverständlich, Schätzchen. Das hättest du doch auch für mich getan, oder etwa nicht?»
Rose schwieg. Es war wahr. Höchstwahrscheinlich war Becky eine gutherzige Seele, das mußte Rose zugeben. Aber in ihrer augenblicklichen Verfassung war sie eher geneigt, die ganze Geschichte als raffinierte Störaktion gegen ihr Zusammensein mit Bobs anzusehen. Das war nicht fair, und sie tat sich selber leid. Nicht nur war sie unattraktiv, es kam auch jedesmal etwas dazwischen, wenn sie sich mit Bobs treffen wollte: das Wetter, Vater oder Becky. Immer, immer wieder Becky. Sie hockte in der klammen Finsternis und preßte die Lippen zusammen, damit man ihr zorniges Weinen nicht hören konnte, und die Tränen rannen ihr kalt und naß die Wangen hinunter.
Sie gelangten ohne weiteren Zwischenfall nach Hause. Becky und Peter liefen ins Haus, Rose folgte langsam und suchte verzweifelt, die Spuren ihrer Tränen zu verbergen.
«Gottlob, daß ihr da seid», rief Mummi. «Aber wo steckt denn bloß Rose? Wir machen uns Sorgen.»
«Alles in bester Ordnung», sagte Becky. «Wir haben sie mitgebracht.» Und da trat auch schon Rose herein und blinzelte in das helle Licht. «Wir haben sie vor einem Schicksal, schlimmer als der Tod, bewahrt, nicht wahr, Rose?»
«Ich habe keine Ahnung, wovon du redest», antwortete Rose.
Becky knöpfte sich den Mantel auf. «Ach, komm, tu doch nicht so. Du sprichst mit einer Expertin. Gedämpftes Licht, das Sofa vors Feuer gerückt...»
«Wo hat sich denn das alles abgespielt?» fragte Mummi gespannt.
Rose antwortete kläglich: «Ich bin zu Mr. Roberts gegangen, weil ich nirgendwo unterkam. Es war ganz harmlos.»
Becky bemerkte dazu: «Schätzchen, wenn ein Mann die Platte auflegt, bleibt es nicht mehr sehr lange harmlos.»
«Bobs ist nicht so», sagte Rose.
«Wirklich nicht, Schätzchen?» fragte Becky zuckersüß. Einen Augenblick lang starrten sich die Schwestern an. Ein Blick voller finsterer Rivalität. Dann schlug Rose die Augen nieder. Opa sagte: «Roberts? Roberts? Ist das der Bursche, der an Weihnachten hier war?»
«Ja», sagte Rose.
«Wirklich? Erstaunlicher Zufall. Erstaunlich», sagte Opa.
«Was ist erstaunlich?» fragte Paps irritiert.
«Na, daß Rose diesen Burschen wieder getroffen hat.» Manchmal war sein Sohn doch ein ziemlicher Dummkopf.
Paps sagte: «Also ehrlich, Vater. Ich finde nichts Erstaunliches daran. Sie unterrichteten doch an derselben Schule. Und er hat uns an Weihnachten besucht, weil er mit Rose befreundet ist.»
Opa lag in seinem Stuhl wie ein Nilpferd, das im Begriff ist, sich aus dem Schlamm herauszuarbeiten. «Das stimmt doch überhaupt nicht. Er ist auf meine ausdrückliche Einladung hin gekommen. Ich
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