Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung
so freundlich herabgelächelt hatte, war verhangen und hatte sich verdunkelt. Sie sah aus wie ein sterbender Goldfisch.
Mummi sah Gaylord an. «Raus», sagte sie mit jener unnachgiebigen Beharrlichkeit, die in seinen Augen zu ihren unangenehmsten Eigenschaften gehörte. Er ging. Seine mageren, hängenden Schultern waren ein einziger Vorwurf der Unterernährung und der Vernachlässigung. «Wir hätten daran denken sollen, ihm ein Sandwich mitzugeben», sagte Großtante Marigold ahnungslos. «Sein Vater war in diesem Alter auch immer auf ein Sandwich aus.»
«Heute auch noch», sagte Mummi und fügte in Gedanken schmunzelnd hinzu, ich wette, Gaylord der Zweite könnte auch eins vertragen, so wie er sich im Augenblick aufführt.
Das Mittagessen war vorüber, der Tisch abgeräumt. Rose betrachtete die immer düsterer werdende Landschaft. Wenn sich das Wetter wenigstens bis halb drei hielte, ehe sich die Schleusen des Himmels öffneten.
Denn das stand offensichtlich unmittelbar bevor. Seit einiger Zeit grummelte und grollte der Donner schon in der Ferne und erfüllte das Zimmer mit einer Spannung, wie das nur ein Gewitter vermag. Gaylords Magen flatterte wie ein gefangener Vogel. Seine braunen Knie zitterten. Er reagierte genauso wie die geduckte, wartende Erde. Aber gerade das liebte er. Er schlenderte zum Großvater hinüber, der am Fenster stand, die Hände tief in den Hosentaschen. Endlich mal eine Situation, in der die Männer das Kommando führten, eine Gelegenheit, aus der man das meiste herausholen mußte. «Ich verstehe nicht, wie irgend jemand Angst vorm Donner haben kann», bemerkte er gesprächig.
«So?» sagte Opa.
«Ich hätte nicht mal Angst, wenn der Blitz ins Haus einschlägt», sagte Gaylord. Er warf Großtante Marigold, deren alte Hände ein Aspirinfläschchen umklammert hielten, einen Blick zu. Er sah zu Tante Rosie hinüber, deren Blick immer wieder furchtsam zum Fenster irrte.
«Wo steckt Becky?» fragte Tante Marigold.
«Auf ihrem Zimmer. Donnert sich auf», sagte Rose bitter.
«Sie sollte jetzt nicht ausgehen...» begann Großtante. Aber in diesem Augenblick trat Becky ins Zimmer. Sie trug einen weiten Rock und einen Hut, groß wie ein Wagenrad.
Mit strahlendem Lächeln zeigte sie ihre weißen Zähne. Gaylord betrachtete sie anerkennend. Aber Opa sagte säuerlich: «Wenn du raus willst, zieh dir lieber Gummistiefel und einen Regenmantel an.»
«Dann sehe ich kaum so nett aus.»
«Auf jeden Fall aber würdest du verdammt vernünftiger aussehen», fauchte Rose.
Die beiden Schwestern sahen einander an. «Schätzchen», gurrte Becky, «ein Mädchen, das vernünftig aussieht, ist das letzte, was ein Mann sich wünscht.»
Opa sah seine beiden Töchter etwas irritiert an und vermochte nicht recht zu begreifen, wie es ihm gelungen war, zwei so gegensätzliche Wesen zu produzieren. Wenn sie doch nur beide schon verheiratet wären! Bei Becky war es natürlich nur eine Frage der Zeit. Aber Rose? Trotz ihrer Farblosigkeit war ihr Gesicht von einer eigenen, marmornen Schönheit, dachte er. Aber die war vergänglich. In ein oder zwei Jahren würden die Männer ihr Gesicht hart finden. Und was dann? Er seufzte. Warum schnappte sie sich nicht diesen Burschen Roberts, ehe es zu spät war?
Die beiden albernen Weiber sähen einander immer noch an. Wie zwei gereizte Katzen. Opa konnte es nicht mehr aushalten. «Warum, zum Teufel, verschwindest du nicht endlich, wenn du sowieso fortgehen willst?» schrie er.
Becky machte vor ihm einen Knicks und verschwand lächelnd. Sie ließ einen Duft von Parfum und frischer Wäsche zurück.
«So, wie die aussieht, trifft sie sich sicher mit einem Freund», sagte Großtante Marigold, entzückt über ihren Scharfsinn. Energiegeladen kam Mummi aus der Küche herein. «Gaylord, geh vom Fenster weg, es donnert.»
War das nicht mal wieder typisch? Nur weil er Gewitter so gerne mochte, durfte er sie sich nicht ansehen. «Opa steht auch am Fenster»^ stellte er fest.
«Wenn du erst mal so alt wie Opa bist, kannst du tun und lassen, was du willst. Bis dahin...»
Gaylord seufzte. Mummi fand immer eine Antwort, die wenigstens sie, wenn schon sonst niemand, befriedigte. Aber sie wandte ihre Aufmerksamkeit jetzt Rose zu. «Rose, ist dein junger Mann noch nicht aufgetaucht?»
«Sieht es denn so aus?» sagte Rose.
Mummi, die wegen Gaylord dem Zweiten und dem Donnern keine Lust hatte, sich über den Mund fahren zu lassen, sagte: «Er scheint nicht gerade glühend verliebt
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