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Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung

Titel: Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Malpass
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sogar ein bißchen fröhlich. «Aber wäre das nicht ein toller Zufall, was?»
    Gleich nach dem Tee sagte Rose: «Hör mal, May, ich wasche eben noch ab, und dann gehe ich vielleicht wirklich mal los.»
    «Ach was, geh nur gleich», sagte Mummi.
    Also trat Rose in den Abend hinaus und eilte zu dem endlosen einsamen Strand. Ich wollte, er wäre wirklich hier. Sie dachte an sein scheues Lächeln und den Druck seiner Hand. Ich wollte, er wäre es.
    Die Sonne stand schon tief. Das Meer war so ruhig wie eine schlafende Katze. Kleine Krebse eilten durchs Brackwasser, und Quallen schimmerten in dem durchsichtigen Wasser am Ufer. Aber keine Spur von einem Menschen. So mochte die Welt vor der Schöpfung dieser ruhelosen Kreatur ausgesehen haben, oder so mochte sie aussehen, wenn es einmal keinen Menschen mehr gab: Sand, Felsen, Meer und die kleinen gepanzerten Krebse, die die Menschheit hatten kommen sehen und ihr Verschwinden erleben würden und die so gewissermaßen mit ihren Scheren die Unendlichkeit umspannten.
    Eine kühle Brise erhob sich, rauhte das Brackwasser auf und wehte eine Handvoll knirschenden Sand um Roses Beine. Sie fröstelte. Niemand konnte Rose Phantasie nachrühmen, aber wie sie jetzt so an diesem schweigenden und verlassenen Ufer stand, wurde sie von dem panischen Gefühl gepackt, daß sie mutterseelenallein sei; daß das Land hinter ihr und das Land jenseits des Meeres völlig menschenleer seien. Niemals wieder würde sie den Klang menschlicher Stimmen in einem erleuchteten Zimmer vernehmen. Niemals wieder würde sie die tröstliche Gegenwart eines anderen Menschen empfinden.
    Sie wollte laut schreien. Sie mußte rasch wieder zum Haus zurück, mußte ihre innere Sicherheit wiederfinden. Sie wandte sich um und rannte wie wild davon.
    Aber ihre Füße versanken im Sand, und sie kam nur mühsam voran. Eben ging die Sonne unter. Wenn es dunkel wurde, war sie verloren. Hier, an diesem finsteren Strand, würde die See sich aufbäumen und sie an ihr kaltes Herz ziehen. Entsetzliches, Unaussprechliches würde aus den Wogen auftauchen...
    Ich werde verrückt, dachte sie. Die Anstrengung der letzten Monate, die schreckliche Hoffnungslosigkeit und Leere, das Wissen, daß sie sich wirklich wie eine Verrückte aufgespielt hatte, die Angst davor, dem verhaßten Bobs unerwartet in die Arme zu laufen, schließlich die Enttäuschung heute abend — das alles war zuviel für sie gewesen. Sie zwang sich, innezuhalten. Am ganzen Körper fliegend, war sie, mit gesenktem Kopf, leise stöhnend, vorangetaumelt. Jetzt blieb sie stehen, hob langsam den Kopf und versuchte, sich wieder in die Gewalt zu bekommen.
    Oben auf der Düne zeigte sich die Gestalt eines Mannes. Langsam kam er herab. Dann fing er an zu laufen. Auch sie rannte nun. Dann standen sie sich gegenüber. Er strahlte verlegen. «Rose», rief er. «Sie sind es also doch.»
    «Mr. Grebbie», keuchte sie.
    Sie hätten sich am liebsten umarmt und geküßt. Ja, das war es, was sie wollten. Aber sie waren zu schüchtern. Immerhin standen sie dicht beieinander, hielten sich Hand in Hand, atemlos nach dem schnellen Lauf. «Ich glaubte schon, Ihren kleinen Neffen gesehen zu haben», sagte er, «aber ich hielt es einfach nicht für möglich.»
    Sie stieß hervor: «Er... hat erzählt, er hätte Sie gesehen. Aber... aber, ich konnte es auch nicht glauben. Es war... es schien mir ein unglaublicher Zufall.»
    «Man sagt, die Wirklichkeit übertrifft jede Phantasie», sagte er. Keine besonders originelle Bemerkung. Aber Rose fand sie sehr zutreffend. Immer wieder lächelten sie einander an. Er wirkte weniger farblos, als sie ihn in Erinnerung hatte. Er trug ein blaues Hemd und Flanellhosen, und Wind und Meeresluft hatten seinen Wangen etwas Farbe gegeben. «Wie lange bleiben Sie?» fragte sie.
    Er sah sie traurig an. «Nur bis morgen abend», sagte er.
    Roses Augen füllten sich mit Tränen. Sie konnte es nicht verhindern. Sie glaubte zwar nicht an überirdische Mächte, aber wenn es schon eine Macht bewerkstelligt hatte, daß sie und Mr. Grebbie sich hier an diesem einsamen Ort begegneten, dann hätte sie es auch gleich so einrichten können, daß dieses Zusammensein länger als vierundzwanzig Stunden währte. Wenn man das Ganze für Becky arrangiert hätte, dachte Rose bitter, wäre ihr sicher ein Monat spendiert worden.
    Stan Grebbie ergriff kühn ihren Arm, und sie gingen nun nebeneinanderher. «Viel Zeit haben wir ja nicht für uns», sagte er. «Wir müssen sehen, daß wir

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