Morgenstadt - wie wir morgen leben
an die passenden Stellen schicken“, erklärt Dr. Rainer Schönbein. „Von dort senden sie in Echtzeit Bilder oder Messwerte und erlauben eine bessere Beurteilung der Lage, auch in unzugänglichem Gebiet.“ Alles wird archiviert und ermöglicht es damit zusätzlich, zeitliche Entwicklungen aufzuzeigen.
Derartige Ballons, Hubschrauber oder mit Kameras ausgerüstete Modellflugzeuge werden in der Morgenstadt nicht nur eingesetzt, wenn ein Unglück passiert ist, sie können auch helfen, Katastrophen zu verhindern. Egal, ob auf Industrieanlagen, rund um Banken, Behörden oder in gefährdeten Gebäuden, ein Netz aus fest montierten und mobilen Sensoren kann Daten aufnehmen und zur Zentrale funken. „Der Vorteil unseres Systems ist, dass alle Arten von Fluggeräten, Robotern und Sensoren miteinander vernetzbar sind“, betont Schönbein. „Einer sieht etwas, einer hört etwas, ein anderer riecht vielleicht etwas Ungewöhnliches.“ Damit in der Flut der irrelevanten Daten nicht wichtige Ereignisse verlorengehen, entwickeln Forscher auch am IOSB Softwareprogramme, die beobachten, ob sich Dinge verändern, ob also etwas Ungewöhnliches geschieht. „Das ist eine schwierige Aufgabe, denn beispielsweise die Szenen, die eine Kamera aufnimmt, ändern sich je nach Tageszeit, Wetter oder Beleuchtung“, so Schönbein. „Wir wollen aber nicht jedes Mal einen Fehlalarm, wenn eine Fahne bei wechselnder Windrichtung plötzlich in eine andere Richtung weht.“
Deshalb arbeiten die Forscher an intelligenten Algorithmen, die nicht nur Veränderungen melden, sondern auch feststellen können, ob diese relevant für eine Gefährdung sind. Heute muss jeweils noch ein Mensch im Kontrollzentrum entscheiden, wie gefährlich eine Veränderung ist. In den Städten der Zukunft kann vielleicht ein automatisches Auswerteprogramm wie das „Vigilant Eye System“ (wachsames Auge) diese Aufgabe übernehmen, das Forscher am Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT entwickeln. „Es kann anhand von Bewegungsmustern verdächtige Situationenentdecken“, sagt Dr. Marina Kolesnik. „So fallen zum Beispiel abgestellte Gegenstände dadurch auf, dass sie sich nicht mehr bewegen. Das System erkennt eine Gefahr und identifiziert und verfolgt den Verursacher.“
Derartige Hilfsmittel sind vor allem wichtig, wenn viele Menschen auf geringem Raum zusammenkommen, sei es bei Fußballspielen, Pop-Konzerten oder anderen Massenveranstaltungen. Seit der Tragödie bei der Love Parade 2010 in Duisburg suchen Forscher nach Möglichkeiten, rechtzeitig gefährliche Brennpunkte zu erkennen und zu entschärfen. Über eine besonders kreative Idee machen sich Experten am ICT in Pfinztal Gedanken. „Wir haben erkannt, dass sich Menschenmassen ähnlich bewegen wie Flüssigkeitsströmungen“, sagt Wilhelm Eckl. „Das wollen wir ausnützen, um Menschenströme reibungslos zu lenken. Denn immer dort, wo sich in der Strömung eine Turbulenz bildet, besteht ein Gefahrenherd.“ Flüssigkeitsströme kann man dadurch auswerten, dass man kleine, kontrastreiche Partikel zugibt und deren Weg mit der Kamera verfolgt. Die Forscher versuchen nun, dies auf die optische Auswertung der Bilder von Menschenmassen zu übertragen, und dabei könnten ihnen Bilder zugutekommen, wie sie die IOSB-Forscher mit ihren Fluggeräten erfassen. „Ich glaube, dass es in der Morgenstadt an etlichen Stellen Ballons geben wird, die die Umgebung aus der Luft überwachen“, glaubt Rainer Schönbein. „Sie haben den Vorteil, dass sie eine große Fläche beobachten können, so benötigt man nicht an jeder Straßenecke Kameras und Sensoren. Ballons liefern ständig ein Life-Bild, und sie sind unschlagbar billig. Man kann sie sogar noch als Werbefläche vermieten.“
Manchmal behindern Rauch, Nebel oder Schneefall den freien Blick auf die Szenerie. Forscher am IOSB haben deshalb eine verblüffende Methode entwickelt, die es erlaubt, sogar durch solche Hindernisse hindurchzuschauen. „Wir nennen dieses Verfahren Gated Viewing oder selektives Sehen“, sagt Benjamin Göhler. „ Es erlaubt den Blick in eine genau definierte Entfernung. Die Dinge davor und dahinter werden ausgeblendet. So kann man beispielsweise auch hinter eine Rauchwolke schauen.“ Das Verfahren funktioniert sogar bei Dunkelheit, denn es benutzt einen kurzen infraroten Laserpuls, um das Sichtfeld zu beleuchten. Eine Kamera fängt anschließend das reflektierte Laserlicht auf. Eine passend eingestellte Verschlusszeit der
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