Morgentau. Die Auserwählte der Jahreszeiten (German Edition)
leise vor sich hin und ich frage mich kurz, ob ich ihn richtig verstanden habe. Wie konnte sie ihm das Leben retten? Als Halbgott in Gaias Reich war er unsterblich.
»Ich war das alles so oft müde«, spricht er weiter. Ich traue mich nicht etwas zu sagen, aus Angst, ihn zu unterbrechen.
»Keine Kraft, … kein Antrieb zum Weitermachen. Ich war verloren, doch sie rettete mich jeden Tag aufs Neue. Rief mich zum Weitermachen an und hielt die Hoffnung zumindest am Knistern.« Nevis dreht sich von mir weg. »Ich höre sie immer noch Halt durch in mein Ohr flüstern.« Seine Stimme bricht und ich stelle meine Tasse weg, um meine Arme um seine Schultern zu legen. Mehr sagt er jedoch nicht und ich dränge ihn nicht dazu. Irgendwann steht er auf und wir packen gemeinsam unsere Sachen ein. Nachdem er mir mit dem Rucksack geholfen hat, schultert er seinen und schließt die dazugehörigen Bauchgurte. Ich ergreife seine Hände und sehe ihm tief in die Augen.
»Ich gehe jetzt mit dir in die Zukunft«, presse ich beinahe tonlos hervor. »Es gibt immer Hoffnung.«
Nevis beugt sich vor und gibt mir einen Kuss. Seine Lippen sind genau wie meine eisig und aufgesprungen, weshalb wir nach dem kurzen Kuss beide unsere Gesichtsbedeckung wieder hochziehen.
»Es wird wärmer werden«, sagt Nevis. »Je näher wir dem Grenzgebiet kommen.«
»Dann lass uns schnell laufen«, antworte ich und versuche mit meinen Augen zu lachen. Es scheint zu funktionieren, denn Nevis‘ nehmen den gleichen Ausdruck an. Er hält mir die Hand hin und gemeinsam klettern wir aus dem Flugzeugwrack. Ich hoffe, dass wir für die kommende Nacht wieder einen so sicheren Schlafplatz finden und dass wir tagsüber unentdeckt bleiben. Meine Hauptgedanken sind jedoch bei Nevis, während ich ihm durch die frostigen Ruinen der menschlichen Vergangenheit folge. War seine Verzweiflung und Einsamkeit noch schlimmer als ich bereits vermutet habe?
Gegen Mittag suche ich mir eine kleine Ruine in der ich verschwinde, um meine Notdurft zu verrichten. Kein Spaß bei der eisigen Kälte.
»Jetzt ist mein Hinterteil schockgefroren«, sage ich zu Nevis, der in einigen Metern Abstand gewartet hat.
»Hast du Hunger?«, fragt er.
»Ja und wie«, gestehe ich. Um ehrlich zu sein, hängt mir der Magen bis in die Knie, aber ich weiß, dass wir nicht allzu viel dabeihaben und ich wollte Nevis nicht mit solchen Dingen nerven.
»Schau mal in deine Innentaschen«, sagt Nevis und macht das gleiche bei sich. Verwirrt folge ich seiner Aufforderung und finde darin ein Paar Riegel von aneinandergepressten Körnern und Flocken. Ich nehme einen heraus und ziehe schnell alles wieder fest zu.
»Müsliriegel«, sagt Nevis und seine Stimme klingt sogar ein wenig amüsiert. »Deine Körperwärme hat sie davor bewahrt, dass sie das gleiche Schicksal wie dein Hinterteil ereilt.«
Ich ziehe meinen Gesichtsschutz herunter und beiße hinein, schmecke jedoch nicht sonderlich viel. Irgendwie ist es staubtrocken, aber der Hunger treibt es hinein.
»Du könntest etwas begeisterter gucken«, meint Nevis und stößt mich sanft mit der Schulter an.
»Schmeckt wie Papier«, sage ich und verziehe das Gesicht.
»Dem Orden muss es gut gehen, dass ihr Papier esst.« Nevis zwinkert mir zu und beißt in seinen Riegel.
»Okay, es schmeckt, wie ich mir vorstelle, dass Papier schmeckt«, korrigiere ich mich und nehme noch einen Bissen. Papier habe ich natürlich noch nie probiert, denn die Herstellung ist mühsam und Verschwendung ist ohnehin etwas, das die Göttin nicht duldet und somit im Orden auch nicht praktiziert wird. Wir suchen uns einen Platz, wo wir uns auf ein paar Steinen niederlassen und verdrücken unsere Müsliriegel. Danach reicht Nevis mir noch etwas Tee.
»Trauriger Anblick, oder?«, fragt der Winter als er mich dabei erwischt, wie meine Augen die Umgebung absuchen.
»Es ist mehr die Angst davor, dass ein Wächter auftaucht«, sage ich ehrlich.
»Hier sind überall Ruinen, wenn sich einer nähert, verstecken wir uns.« Nevis‘ Stimme klingt rau und kraftlos. Gegen die Wächter ist er genauso machtlos wie ich.
»Wenn er uns nicht zuerst sieht«, seufze ich. Wir Schweigen eine Weile, bis ich bemerke, dass Nevis mich ansieht.
»Maya?«
»Ja?«
»Danke.«
»Wofür?«, frage ich verwirrt.
»Deine Worte von eben.«
»Ich meinte jedes davon ernst.«
Nevis steht auf und kommt auf mich zu. Er kniet sich vor mich und sieht mir tief in die Augen. »Merkwürdig, oder?«
»Was genau?« Im Moment
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