Morland 01 - Die Rückkehr der Eskatay
Noch einmal ruckte er. Nichts. Er kam nicht frei. Schließlich versuchte er sich aus dem Griff zu winden, aber er hatte keine Chance.
Kerkoff holte mit der Linken aus. Seine gewaltige Pranke hätte jeden niedergestreckt.
Tess duckte sich nicht einmal. Vollkommen mühelos hob sie ihren Arm und wehrte den Schlag ab.
»He !«, schrie Kerkoff, der jetzt ein wenig unsicher wurde. Noch einmal schlug er zu, diesmal mit der Faust. Tess fing sie mit der freien Hand wie einen Ball auf und drückte zu. Es knackte und Kerkoff stieß einen lauten Schrei aus. Sie hatte ihm die Knochen gebrochen.
Bevor er darauf reagieren konnte, ging sie zum Gegenangriff über. Es waren lässige Bewegungen, aber sie kamen gezielt und koordiniert. Ein Schlag gegen die Schläfe, ein Tritt gegen die Kniescheibe. Mehr musste sie nicht tun und Kerkoff fiel sich mehrmals überschlagend die Treppe hinunter, wo er zu Woosters Füßen liegen blieb.
Fassungslos starrte der den leblosen Körper an, dann sah er zu Tess hinauf, die schwankend vor ihrem Zimmer stand.
»Was hast du da getan?«, fragte er, nicht entsetzt, sondern grenzenlos überrascht.
»Ich weiß es nicht«, stammelte sie. Zitternd, als hätte sie der Gewaltausbruch geschwächt, lehnte sie sich gegen die Wand.
Wooster ging in die Knie. Vorsichtig untersuchte er Kerkoff.
»Was ist mit ihm?«, fragte sie.
»Er ist tot.«
Tess schlug die Hand vor den Mund. »Oh mein Gott«, flüsterte sie. Jetzt ließ die Kraft in ihren Beinen nach und sie rutschte die Wand hinunter. »Das habe ich nicht gewollt.«
»Mach dir um Kerkoff keine Gedanken. Die Welt ist ohne ihn ein schönerer Ort.«
»Hat ... hat er sich beim Sturz das Genick gebrochen?« »Nein. Er war schon tot, als er die Treppe hinunterfiel. Dein Schlag hat perfekt gesessen.«
Jetzt begann Tess zu schluchzen, laut und hemmungslos. Wooster lief die Treppe hinauf. »He, ist schon gut. Es war Notwehr. Was glaubst du, hätte er mit dir da oben angestellt?«
Doch das war kein Trost für Tess. Sie hatte einen Menschen getötet, und das war eine Tat, die sie nie wiedergutmachen konnte.
»Mädchen, beruhige dich«, fuhr sie Wooster scharf an. »Ich muss überlegen, was jetzt zu tun ist, und so kann ich mich nicht konzentrieren.«
Tess zog die Nase hoch und versuchte sich zusammenzureißen.
»Schon besser«, knurrte Wooster.
»Sie werden mich doch nicht verraten?«, fragte Tess unsicher.
Der Wirt der Eisernen Jungfrau schaute sie an, als hätte sie den Verstand verloren. »Was erwartest du von mir? Dass ich morgen durch Süderborg laufe und jedem erzähle, dass ein dreizehnjähriges Mädchen den übelsten Schläger des Viertels ohne jede Anstrengung mit den bloßen Händen ins Jenseits befördert hat?«
Tess musste zugeben, dass das nicht besonders glaubwürdig klang. Und auf einmal verstand sie das Dilemma des Mannes. »Man wird glauben, dass Sie es waren.«
»Richtig, mein Engelchen«, antwortete Wooster zynisch und stand auf. »Ich muss die Leiche irgendwie loswerden. Zu meinem Glück hatte der Kerl mehr Feinde als ein Hund Flöhe. Vielleicht kommt man ja nicht sofort auf mich. Zum Glück sehe ich nicht so aus, als könnte ich es mit einem Kerl wie Kerkoff aufnehmen.«
Tess wischte sich mit dem Ärmel die Nase ab. »Dann werde ich Ihnen helfen ...«
»Einen Teufel wirst du tun«, sagte er barsch. »Du verschwindestvon hier, und zwar sofort! Und ich werde vergessen, dass wir beide uns jemals begegnet sind.«
»Aber ... Sie können mich doch nicht mitten in der Nacht auf die Straße jagen!«, rief Tess.
»Und ob ich das kann. Wie es scheint, kannst du dich ja sehr gut deiner Haut erwehren.«
Tess fiel es plötzlich wie Schuppen von den Augen. »Sie haben Angst vor mir!«
»Was denkst du denn? Natürlich habe ich Angst vor dir!«, schrie Wooster, der jetzt vollends die Beherrschung zu verlieren schien. Er kramte in seiner Hosentasche, zog einige Scheine hervor und warf sie ihr hin. »Hier sind fünfzig Kronen. Mit dem Trinkgeld von heute Abend müsstest du fürs Erste genug Geld haben, um dich durchzuschlagen. Und jetzt verschwinde!«
Tess wankte die Treppe hinunter. Im ersten Moment wollte sie das Geld nicht aufheben, aber diese Art von Stolz war ein Luxus, den sie sich nicht leisten konnte.
»Danke«, sagte sie leise. »Ich werde es Ihnen eines Tages zurückzahlen.«
»Verschwinde«, kreischte Wooster und hob abwehrend die Hände. »Ich will dich hier nicht mehr sehen, hörst du? Du bist ein gottverdammter Eskatay!« Er
Weitere Kostenlose Bücher