Morland 01 - Die Rückkehr der Eskatay
spuckte dieses Wort regelrecht aus.
»Ein Eskatay?«, fragte Tess hilflos. »Was soll das sein?« »Ein Teufel in Menschengestalt! Das Böse schlechthin.« Woosters Gesicht war zu einer Fratze verzerrt.
Tess schaute unentschlossen erst Wooster, dann den toten Kerkoff an. Ein Eskatay war sie also. Sie hatte den Begriffnoch nie gehört, aber er klang nach Missgeburt, nach Abschaum, nach etwas, was man aus tiefster Seele hassen musste. Voller Enttäuschung sah sie Wooster an, der inzwischen hinter die Theke zurückgewichen war und plötzlich in seinen Händen etwas hielt, was wie ein Gewehr aussah. Er hatte die Waffe nicht auf sie angelegt. Das traute er sich nicht. Aber die Nervosität ließ ihn am Hahn herumspielen.
Tess lief an ihm vorbei und verließ ohne ein Wort des Abschieds die Schenke. Draußen wartete die Nacht auf sie, und Tess wusste nun, dass sie sich alleine der Dunkelheit stellen musste.
***
Es war die erste Lagebesprechung, die Lennart in seiner Funktion als Chefinspektor abhielt, und er war nervös. Auch wenn er sich mit Elverum auf einen Waffenstillstand geeinigt hatte, so war nicht klar, ob die anderen Beamten auch mitspielten. Wenn er so in die Runde schaute, beschlichen ihn Zweifel. Die meisten lümmelten respektlos auf ihren Stühlen, tranken gelangweilt Tee oder widmeten sich demonstrativ ihrem Imbiss.
Lennart hatte eine Tafel aufgestellt, an die er alle Spuren, Hinweise und Ambrotypien so geklebt hatte, dass sie thematisch in einer Beziehung zueinander standen. Ohne Umschweife begann er mit seinen Ausführungen.
»Wir haben drei Leichen, gefunden in einem zeitlichen Abstand von ein und zwei Wochen. Es handelt sich um zwei Männer und eine Frau, alle zwischen fünfunddreißig undvierzig Jahre alt. Auf den ersten Blick haben sie nichts gemein bis auf die Tatsache, dass allen der Kopf fehlt. Hat jemand eine Idee, warum?«
Er schaute in die Runde, erhielt aber keine Antwort.
»Um Spuren zu verwischen und die Identität der Opfer zu verschleiern?«, fragte Elverum schließlich.
»Die letzte Tote hat Selbstmord begangen«, sagte Lennart und zeigte auf eine grobkörnige Ambrotypie, die die Leiche in der Schrottpresse zeigte. »Der gemeinsame Nenner ist der fehlende beziehungsweise vollständig zerstörte Kopf. Daraus folgt, dass wir nicht zwingend von einer Mordserie ausgehen müssen. Vielleicht war es ja bei den anderen Fällen ein Töten auf Verlangen.«
Inspektor Persson schnaubte verächtlich. »Wenn ich jemanden beauftrage, mir das Licht auszublasen, dann sage ich ihm doch nicht, er soll meinen Kopf verschwinden lassen. Das ergibt doch keinen Sinn.«
»Nun ja«, erwiderte Holmqvist, der neben ihm saß und nachdenklich den Belag seines Brotes untersuchte. »Wer weiß, was sich bei dir so alles im Oberstübchen abspielt.«
Persson machte ein Selten-so-gelacht-Gesicht und widmete sich wieder seinem Tee.
»Stellen wir uns einmal Folgendes vor«, sagte Lennart. »Wir haben eine Gruppe von Leuten, die aus was für Gründen auch immer aus dem Leben scheiden wollen und dabei die Köpfe verschwinden lassen müssen. Wie würden sie das anstellen?«
»Bitte, das ist doch absurd«, sagte Persson.
»Es geht mir nicht darum, wie absurd das ist. Es geht mirdarum, wie man das anstellt«, sagte Lennart scharf. Einige sahen auf, verblüfft über Lennarts ungewohnte Tonart.
»Einer bringt die anderen um, schneidet ihre Köpfe ab und vernichtet sie dann getrennt von den Leichen«, meldete sich nun Holmqvist. »Zum Schluss bliebe nur noch die Person übrig, die das blutige Geschäft erledigt hat. Die müsste dann Selbstmord begehen.« Holmqvist stutzte und legte sein Brot beiseite. »Die Frau!«
»Richtig!« Lennart lächelte und tippte auf die Ambrotypie. »Die Frau in der Schrottpresse. Ich weiß nicht, wie viele kopflose Leichen wir noch finden werden, aber ich wette darauf, dass sie alle schon länger tot sind als sie. Die Frau hatte keine andere Wahl. Ein Sturz von der Brücke hätte ebenso wenig gereicht wie ein Strick. Deswegen haben wir sie auch so früh gefunden. Die Schrottpresse war die einzige Methode, bei der sie sicher sein konnte, dass von ihrem Kopf nichts mehr übrig blieb.«
»Moment«, sagte Persson. »Sie gehen also davon aus, dass wir noch mehr kopflose Leichen finden?«
»Es würde mich nicht wundern.« Lennart ging zu einer Kiste, die auf dem Schreibtisch stand. »Ich habe hier die Vermisstenfälle der letzten fünf Jahre. Es sind insgesamt zweiundvierzig Männer und
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