Morland 02 - Die Blume des Bösen
Kontrollpunkte«, sagte Halldor. »Die sollten wir so weit wie möglich umfahren.«
Lennart kniff die Augen zusammen, damit er den Plan besser sehen konnte, doch das war schwer, denn das einzige Licht kam von den Straßenlaternen, an denen der Wagen vorbeifuhr.
Lennart lotste Halldor durch die Stadt. Es waren nur wenige Automobile um diese Zeit unterwegs, was die Fahrt nicht ungefährlicher machte, denn sie selbst fielen dadurch umso mehr auf. Kurz vor dem Ziel faltete Lennart den Plan wieder zusammen.
»Das letzte Stück sollten wir laufen.«
Halldor fuhr den Coswig auf ein leeres Grundstück und parkte ihn so hinter einer Mauer, dass er von der Straße aus nicht zu sehen war.
Eine gespenstische Stille lag über der Stadt. Zu normalen Zeiten, vor dem Ausnahmezustand, hatte immer ein Summenin der Luft gelegen, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Nun schien es, als ob eine bleierne Schwere auf allem lastete.
Alte Zeitungen und zerrissene Flugblätter tanzten im Wind. Ein süßlicher Geruch stach ihnen in der Nase, der von den überquellenden Mülltonnen aufstieg, die seit Tagen nicht mehr geleert worden waren. Einige Fenster, deren Scheiben eingeschlagen worden waren, hatte man mit Sperrholzplatten zugenagelt, auf denen Plakate klebten, die zu Ruhe und Ordnung aufriefen. Ruhe herrschte tatsächlich in den Straßen von Lorick, daran konnte es keinen Zweifel geben. Doch die Ordnung befand sich längst in einem Prozess der Auflösung. Die letzten Monate unter der Herrschaft der Morstal AG hatten sich genauso angefühlt.
»Wir sind da«, flüsterte Lennart und zeigte auf ein dunkles Eckhaus. »Elverum wohnt im dritten Stock.«
Sie huschten über die Straße und versteckten sich im Schatten einer Toreinfahrt, wo sie einige Minuten abwarteten. Niemand war ihnen gefolgt.
»Und wie kommen wir jetzt hinein?«, fragte Lennart. »Die Haustür dürfte verschlossen sein.«
»Du könntest klingeln.«
Lennart schaute Halldor an, als hätte er den Verstand verloren.
»Das war ein Witz. Wir werden es hintenherum versuchen.« Er packte Lennart am Ärmel und zog ihn hinter sich her.
Die Mietshäuser in diesem Block waren so angeordnet, dass sie einen rechteckigen Hof bildeten, in dem eine große Remise für Automobile und Kutschen stand. Halldor unter‑
suchtedie Tore und fand schließlich eines, das nicht durch ein großes Vorhängeschloss gesichert war. Vorsichtig öffnete er es.
Der Raum dahinter war ein Lager, in dem ein Durcheinander herrschte, als ob es erst vor Kurzem durchsucht worden wäre. Alle Kisten, die in den Regalen gestanden hatten, waren ausgeleert und ihr Inhalt achtlos auf dem Boden verstreut worden. Es musste sich um den Warenbestand eines Möbelgeschäftes handeln, denn die Lampen, die zerbrochen und verbogen auf einem Haufen lagen, waren alle noch mit einem Preisschild ausgezeichnet.
»Mach die Tür zu«, sagte Halldor. Er stieg über den Unrat, um eine Kerze aufzuheben. Mit einem Feuerzeug zündete er sie an.
»Wonach suchen wir?«, fragte Lennart.
»Hiernach«, antwortete Halldor. Er hielt eine Brechstange und mehrere kurze Stücke Draht in die Luft. Mit Daumen und Zeigefinger löschte er die Kerze, die er in seiner Jackentasche verschwinden ließ. Lennart öffnete wieder das Tor.
Es dauerte einen Moment, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann gingen sie hinüber zum Keller eingang der Nummer 14. Während Lennart zunehmende Nervosität in sich aufsteigen spürte, blieb Halldor betont ruhig. Er drückte das Brecheisen in den Türspalt und hebelte die Tür mit einer kräftigen, beinahe geschmeidigen Bewegung auf. Das Geräusch, das er dabei verursachte, war kaum zu hören.
Halldor zog die Kerze aus seiner Tasche und zündete sie erneut an. Sie befanden sich in einer Waschküche. Hemdenund Laken hingen zum Trocknen auf einer Leine, während es unter einem Kessel noch dunkelrot glimmte. Halldor schnalzte missbilligend mit der Zunge und löschte die Glut.
»Sehr nachlässig. So ein Feuer bricht schneller aus, als man denkt. Da hat wohl jemand die Hausordnung nicht gelesen.«
»Hausordnung?«, fragte Lennart und lachte trocken.
»Was ist daran so lustig?«, entgegnete Halldor kühl.
»Entschuldigung, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Wargebruder Wert auf eine Hausordnung legt.«
Halldor bedachte ihn mit einem Stirnrunzeln. »Du scheinst das Prinzip unserer Gemeinschaft nicht so ganz zu verstehen, was? Wo Menschen zusammenleben, muss es auch Regeln geben. Sonst
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