Morland 02 - Die Blume des Bösen
steuert man auf ein Chaos zu. Es kommt auf den Gemeinsinn an. Wo käme man denn hin, wenn jeder machen könnte, was er wollte? Das ist übrigens Begarells Problem: Er zerstört die alte Ordnung, ohne eine neue zu etablieren. Deswegen wird ihm das alles noch um die Ohren fliegen.«
Vorsichtig stiegen sie die Treppe hinauf. Als sie im Erdgeschoss ankamen, drückte Halldor den brennenden Docht der Kerze ins Wachs. Der Schein der Gaslaternen, die auf der Straße brannten, reichte aus, um den Weg zu erkennen. Lennart ging vor und blieb im dritten Stock vor einer Tür stehen.
Halldor schob ihn beiseite. Mit zwei Drähten bearbeitete er vorsichtig das Schloss. Nach wenigen Sekunden sprang es geräuschlos auf.
»Ich gehe alleine hinein«, sagte Lennart.
»Wie du willst. Dann nimm aber die hier mit.« Halldor hielt ihm eine Waffe entgegen. Lennart erkannte sie augenblicklich wieder. Es war die Pistole, mit der er Pavo erschossen hatte. Vorsichtig nahm er sie in die Hand. Sie fühlte sich schwer und kalt an.
»Du hast ja deinen Abscheu schnell überwunden«, bemerkte Halldor lächelnd.
Lennart spannte den Hahn und legte die Waffe auf sein Gegenüber an. Er zielte genau in die Mitte der Stirn. Das Lächeln auf Halldors Gesicht erstarb. Lennart löste den Hahn und gab die Waffe mit dem Griff voran wieder zurück. Dann huschte er in die Wohnung.
Elverums Wohnung war nicht groß. Direkt neben der Eingangstür befand sich die winzige, unaufgeräumte Küche. Ihr gegenüber lag das Bad. Das Wohnzimmer war eine behagliche Höhle mit offenem Kamin, Ledercouch und Bücherregal, doch das war nicht Lennarts Ziel. Er betrat das Schlafzimmer.
Elverum hatte Lennart einmal erzählt, dass er geschieden war, daher konnte er damit rechnen, dass Elverum alleine war. Die Schlafgelegenheit, anders konnte man sie nicht nennen, war schmal und sah ungemütlich aus. Gleichmäßige Atemzüge waren zu hören. Unter der Bettdecke schaute ein Haarschopf hervor.
Lennart räumte einen Sessel leer und nahm Platz. »Elverum, ich muss mit Ihnen reden«, sagte er in die Stille hinein.
»Ich habe mich schon gefragt, wann Sie kommen würden«, sagte eine müde Stimme vom Bett her. Sie klang weder
überrascht noch ängstlich, eher ein klein wenig ungeduldig. Elverum richtete sich auf und entzündete die Petroleumlampe, die auf seinem Nachttisch stand. Er blinzelte Lennart aus zusammengekniffenen Augen an.
»Himmel, wie sehen Sie denn aus?«, brummte er.
»Wie soll einer schon aussehen, der auf der Flucht ist«, antwortete Lennart.
»Nun, einen Gefangenen zu befreien ist nicht unbedingt ein Kavaliersdelikt.«
»Es war ein Junge, der zu Unrecht im Hochsicherheitstrakt des Staatsgefängnisses eingesperrt worden war.«
»Ja, ich habe schon gehört, dass sie mittlerweile jeden verhaften, der im Verdacht steht, gegen Begarell zu sein. Alles, um die Sicherheit des Staates zu wahren.«
»Was soll das heißen: Sie haben davon gehört?«
»Ich habe da nicht mitgemacht. Erinnern Sie sich noch, wie ich Ihnen sagte, dass man uns fragen würde, wie wir es mit der neuen Ordnung halten werden?«
»Oh ja. Sie haben außerdem gesagt, dass Sie noch nicht wüssten, wie Ihre Antwort aussähe.«
»Nun, man hat mich gefragt. Und ich habe eine Antwort gegeben. Persson und Holmqvist wollen versuchen, das System von innen heraus zu verändern. Aber ich wollte das nicht mitmachen. Weil ich nicht glaube, dass es funktioniert. Also wurde ich wie einige andere auch für unbestimmte Zeit in Urlaub geschickt. Aber erzählen Sie erst einmal, was Ihnen zugestoßen ist.«
Und Lennart erzählte. Von der Rückkehr der Eskatay, den Gist, dem Tod seiner Frau und der Entführung seiner Kinder.Auch von seinem Gefängnisaufenthalt berichtete er, nur Pavos Tod erwähnte er nicht.
Elverum hatte dem Bericht gelauscht, ohne ihn zu unterbrechen. Als Lennart fertig war, schwieg er noch immer. Lennart wusste, dass es einen Moment dauern würde, bis der Mann, der die besten Jahre seines Lebens dem Polizeidienst geopfert hatte, die Tragweite dieser Enthüllung begriff.
»Sie erwarten von mir, dass ich mich mit meinen Feinden verbünde, um gegen Begarell und die Eskatay zu kämpfen?« Er betonte das Wort Eskatay , als wären es Figuren aus einem Kindermärchen.
»In diesem Krieg müssen wir Menschen zusammenstehen. Nur so werden wir überhaupt eine Überlebenschance haben«, beschwor ihn Lennart eindringlich. »Unsere Feinde sind nicht die Wargebrüder oder die Todskollen. Unsere Feinde sind
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