Morland 02 - Die Blume des Bösen
gespürt. Weder dass man ihn in einer feierlichen Zeremonie bei den Wargebrüdern aufnahm. Noch dass man ihm als Zeichen seiner Zugehörigkeit einen silbernen Ring durch das linke Ohr steckte. Und auch nicht, dass man ihm in Runenschrift einen Wahlspruch auf den Rücken tätowierte. Er hatte nicht antworten können, als man ihn fragte, wie er lauten sollte, und so hatte sein Bürge Halldor Schartess ein Motto für ihn ausgewählt.
Durch die Bitternis zu den Sternen.
Lennart verzog keine Miene, als die Zeichen in seine Haut punktiert wurde. Die Prozedur dauerte eine Stunde, dann goss man zur Desinfektion eine halbe Flasche Branntwein über die Stelle. Die andere Hälfte leerten Lennart und Halldor gemeinsam. Er war jetzt einer von ihnen. Und er würde es bis zu seinem Tod bleiben. Doch davor hatte er keine Angst mehr, denn er war bereits in dem Moment gestorben, als er den Schuss auf Pavo abgegeben hatte.
Durch die Bitternis zu den Sternen.
Man gab ihm und Halldor neue Kleidung: saubere Hemden, modern geschnittene Anzüge, glänzend polierte Schuhe. So sahen sie wie Geschäftsleute und nicht wie Gefangene aus. Aber dies war auch die Absicht. Boxvereine legten Wert auf Seriosität.
Lennart sprach noch immer kein Wort, als ihm Jefim Schestakow den Bruderkuss gab. Er sagte auch nichts, als die bestochenen Wachen kamen und sie beide zum großen Tor führten, hinter dem die Freiheit auf Lennart wartete. Die Freiheit. Für sie hatte er seine Ideale verraten und einen Menschen getötet. Einen Menschen, den er gekannt hatte, den er sogar als Freund bezeichnet hätte. Alles nur, um seine Kinder wieder in die Arme zu schließen. Rechtfertigte das den Preis, den er bezahlt hatte? Er trat vor das Tor und schaute hinauf zum Nachthimmel.
Durch die Bitternis zu den Sternen.
»Komm«, sagte Halldor. »Der Wagen wartet auf uns.«
Erst jetzt bemerkte Lennart den Coswig, der auf der anderen Straßenseite unter einer Laterne stand. Halldor setzte sich hinter das Steuer, Lennart nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Als er sich anlehnte, spürte er das Brennen der Tätowierung auf seinem Rücken, aber er ignorierte es.
»Das war einfach«, sagte Lennart.
»Was war einfach?«, fragte Halldor.
»Unsere Flucht.«
Halldor brummte etwas Unverständliches. Die Anzeigen und Hebel des Automobils erforderten seine ganze Aufmerksamkeit.
Doch Lennart fuhr fort. »Wenn das Gefängnis ohnehin in
der Hand der Boxvereine ist, warum sitzen Gornyak und Schestakow dann überhaupt noch ein?«
Halldor blickte auf. »Ganz einfach: Weil sie es so wollen. Im Knast können sie am besten ihren Geschäften nachgehen.« Er schaute Lennart erwartungsvoll an. »Wo fahren wir hin?«
»Hm?«, machte Lennart verwirrt.
»Ich fragte, wo wir hinfahren.«
Lennart musterte Halldor eindringlich, aber mit reglosem Gesicht. Dann wandte er den Blick ab.
»Es ist dir nicht leichtgefallen abzudrücken, nicht wahr?«, fragte Halldor und es klang fast mitfühlend. Lennart antwortete nicht.
»Natürlich nicht«, antwortete Halldor an Lennarts Stelle. Seine Stimme klang scharf. »Du hast Swann erschossen. Und Pavo war eine Ratte. Er hatte Informationen über uns gesammelt und hätte dich und jeden von uns ans Messer liefern können, wenn ...«
»Pavo war mein Freund«, schnitt ihm Lennart das Wort ab. »Der einzige, den ich in diesem Gefängnis hatte.«
»Ah«, machte Halldor, als würde er verstehen. »Und jetzt plagt dich das schlechte Gewissen!«
Lennart starrte Halldor fassungslos an. »Was würdest du sagen, wenn du jemanden hinrichtest, der dir nichts getan hat?«
»Ich würde sagen: Entschuldigung, tut mir leid es ist nichts Persönliches. Und dann würde ich abdrücken. Hör zu, du wusstest, worum es ging: sein Leben gegen das deiner Töchter. Ich finde, das war ein faires Angebot. Und du hast dichentschieden, keiner hat dich gezwungen. Also hör auf, dich zu beschweren. Wo fahren wir hin?«
»Zu Elverums Wohnung in der Nyhemsallee 14.«
Halldor stieg aus und drehte die Kurbel. Der Wagen sprang sofort an. Halldor setzte sich wieder hinter das Lenkrad und fuhr los, ohne jedoch das Licht einzuschalten. Es herrschte schließlich immer noch eine nächtliche Ausgangssperre. Es war riskant, um diese Zeit unterwegs zu sein.
»Schau mal im Handschuhfach nach«, sagte er zu Lennart. »Da müsste ein Stadtplan liegen.«
Lennart öffnete die Klappe und holte die Karte heraus. Überall waren an den großen Straßen rote Kreuze gemalt.
»Das sind die
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