Morpheus #2
nächste Eiszeit kam. Oder ein neuer Polizeipräsident, der ihm all seine Vergehen vergab.
Aus den unzähligen Gesprächen, die Dominick führte, ergab sich, dass Chavez trotz allem seinen Job behalten hatte, weil er einmal zufällig auf dem MacArthur Causeway einen Serienmörder verhaftet hatte. Was Dominick jedoch noch mehr entsetzte, war, dass Chavez nach Aussage seines Bruders Ernesto in Kürze einen Job in Hialeah angeboten bekommen sollte. Abgesehen von der Unsitte der Vetternwirtschaft, war die Polizei heutzutage wirklich so verzweifelt auf der Suche nach Personal, oder steckte mehr dahinter? Vielleicht die Angst vor einer dicken Klage, wenn die Stadt einen Beamten feuerte?
Als Dominick Ernesto Chavez am Tag vor Victors Beerdigung einen Besuch abstattete, hatte Ernesto sowohl die Wohnung als auch seine Story ordentlich auf Vordermann gebracht. Natürlich könne sich Dominick umsehen. Auch wenn es echt Scheiße sei, dass ein toter Cop – noch dazu ein verdammter Held – wie ein Verbrecher behandelt werde. Das FDLE und die Arschlöcher, die Victor in Miami Beach das Leben zur Hölle machten, hätten eben keinen Respekt vor einem toten Helden! Anscheinend hatte der Baum zwei faule Äpfel getragen. So ging es eine Stunde lang, während Dominick und Marlon Dorsett mit drei Polizisten des MDPD die enge Dreizimmerwohnung unterhalb des Palmetto Expressway durchsuchten. Drogen fanden sie keine.
Tagelang beharrte Ernesto darauf, keine Ahnung von Victors schlechter Angewohnheit zu haben.
Doch er sang sofort ein anderes Lied, als er selbst in den Becher pinkeln musste – eine Überraschung seines Lieutenants, die auf Dominicks Rechnung ging. Um sich den Gang zum Arbeitsamt zu sparen, schrieb sich Ernesto für das Entzugsprogramm seines Departments ein und gab endlich zu, dass die beiden Brüder gerne in Miami Beach gefeiert hätten und dass Victor bei seinem Lieferanten in den Miesen war. Der Dealer nannte sich Lil’ Baby J alias LBJ. Getauft war er auf den Namen Jerome Sylvester Lightner und hatte mit Victor die Schulbank gedrückt.
Statt so clever zu sein und sich das Geld von einer der zwanzig Frauen zu leihen, die er bumste, war Victor in bewährter Blödheit zu seinem Freund Ricardo Brueto gegangen, einem Anführer bei den Latin Kings. Ricky gab ihm die fünftausend, die er brauchte, um LBJ und seine Freunde loszuwerden.
Fürs Erste zumindest. Allerdings verstand man bei den Gangs keinen Spaß, wenn es um Schulden ging, und die Zinsen vervielfachten sich von Stunde zu Stunde.
Kurz nachdem Victor unter der Erde war – es gab einundzwanzig Ehrensalven mit allem Drum und Dran –, hatten sie ein einigermaßen klares Bild gewonnen. Dominick rechnete damit, dass alles herauskam, sobald sie LBJ fanden – der sich allerdings seit Victors Tod verborgen hielt. Wahrscheinlich war Victors Kredit abgelaufen, und er hatte, um seinen Arsch zu retten, ein paar Geheimnisse über seinen Kumpel bei den Latin Kings ausgeplaudert, was nicht unbemerkt geblieben war. Es gab unendlich viele Möglichkeiten, und keine davon war angenehm. Wer sich zu Hunden legte, stand mit Flöhen auf. Wenn er überhaupt wieder aufstand.
Ricardo hatte schnell begriffen, dass es in seinem Interesse lag nicht mit den Ermittlern zu sprechen, und in Anbetracht der Länge seines Strafregisters konnte Dominick diese Einsicht sogar nach-vollziehen. Da nichts gegen ihn vorlag, konnte man zu diesem Zeitpunkt nur abwarten und Däumchen drehen. Abwarten, bis LBJ wieder auftauchte. Abwarten, was er sagen würde, wenn ihm wegen Mord an einem Polizisten die Todesstrafe drohte.
Victors Tod sah immer mehr aus wie eine Hinrichtung in der Gang-Szene, nicht wie die wahllose Tat eines Verrückten oder die Rache eines betro-genen Liebhabers, und das nahm der Ermittlung ein wenig den Druck, der so schwer auf den Detectives gelastet hatte. Auch wenn es immer noch höchste Priorität war, den Schuldigen zu finden, rangierte ein Mord im Drogen- und Gang-Milieu auf der Wich-tigkeitsliste ein paar Plätze weiter unten. Anders als andere Jungs in Uniform, die im Gefecht gefallen waren, hatte sich Victor die Fahrkarte zum heiligen Petrus selbst gekauft.
Die Drogen-Connection sickerte zur Presse durch, und bald verging selbst den Medien mit ihrem schonungslosen Durst nach Blut und Skanda-len die Lust. Die tägliche Berichterstattung über den Cop-Killer! rutschte von der Titelseite in den Lokalteil und wurde nach einer Woche eingestellt. Auch das Cop-Killer-Logo,
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