Morpheus #2
Beweise zulässig. Das Kartenhaus war sehr sorgfältig errichtet worden.
C. J. inhalierte den Rauch ihrer Zigarette und kaute an ihrem Daumennagel, während sie beobachtete, wie ein braun gebrannter Obdachloser zum Frühstück einen Doughnut mit einem halben Liter Jack Daniels hinunterspülte.
Das Problem bei solch einem Komplott lag natürlich auf der Hand. Je mehr Personen ein Geheimnis teilen, desto schwieriger ist es, es geheim zu halten.
Und jetzt klang ihr wieder in den Ohren, wie sie damals, in ihrem Büro, von dem gefallenen Beamten Antworten verlangt hatte.
«Also, Sie und Ribero?»
Und Victors zitternde Stimme: «Lindeman wusste auch von dem anonymen Anruf.»
Immer wieder hörte sie, wie Chavez den Namen flüsterte. Drei Menschen hatten von dem Komplott gewusst, von der Wahrheit über jene Nacht auf dem MacArthur Causeway, als sie C. J. so freundlich in ihren Verschwörerzirkel aufnahmen. Zwei davon waren nach allen Regeln der Kunst hingerichtet worden. Und ihrem Tod hatte man eine grausame Botschaft beigefügt: Einer hat das Maul zu weit aufgerissen, und oben passt das jemandem nicht.
Berechtigte Paranoia oder schlichter Zufall?
C. J. fuhr aus der Parklücke und macht sich auf den Weg nach Hause. In weniger als drei Stunden würde sie wieder im Gericht vor einem schlecht gelaunten Richter und einer ungeduldigen Jury stehen, und sie wollte noch duschen und sich umzie-hen. Und das Kreuzverhör vorbereiten.
In ihrem Kopf war alles ein einziges Durcheinander. Was, wenn die Morpheus-Morde nicht das Werk von Bandenmitgliedern war oder von Drogenkartellen oder womöglich von einer durchgeknallten Bürgerwehr, die gegen Korruption kämpfte? Was, wenn jemand systematisch diejenigen auslöschen wollte, die das Geheimnis kannten, das C. J. jetzt nur noch mit einer Person teilte? Aber wer konnte die Eingeweihten zum Schweigen bringen wollen, und warum?
Sie dachte an Chavez’ Sergeant Lou Ribero, dem einzigen überlebenden Mitglied des Trios, und fragte sich: Was, wenn es so wäre? Doch dann dachte sie wieder an das Warum, und darauf fiel ihr beim besten Willen keine Antwort ein. Außerdem war da noch Officer Angelillo, der Polizist aus Miami-Dade, der draußen bei der Dolphin Mall ermordet worden war. Soweit sie wusste, gab es keine Verbindung zu ihm. Sie hatte den Mann nie zuvor gesehen, und er hatte nichts mit alledem zu tun.
Was hatte es mit ihm auf sich? Vielleicht, dachte sie mit einem erschöpften Seufzer, während sie den Jeep auf ihren Parkplatz fuhr, vielleicht litt sie wirklich nur unter Verfolgungswahn. Sie schloss die Augen. Wenn sie nur nicht so allein mit der ganzen Sache wäre…
Ein Problem wiegt immer schwerer, wenn man es allein mit sich herumträgt, hatte ihr Vater früher gesagt. Trag die Probleme nicht zu lange mit dir allein herum.
Sie warf noch einen Blick auf die Uhr und pfiff durch die Zähne, dann klaubte sie die Tasche, das Notizbuch und die Marlboros vom Beifahrersitz zusammen und hastete nach oben in die Wohnung.
Sie hatte keine Zeit, sich den Kopf über eine Frage zu zerbrechen, auf die es keine Antwort gab. Sie musste zum Gericht.
FÜNFUNDZWANZIG
«Wir müssen uns unterhalten», sagte Dominick.
Es war sieben Uhr abends, und C. J. war die Letzte im Büro. Verstörende Bilder lenkten sie immer wieder ab, während sie versuchte, sich auf die Westlaw-Homepage zu konzentrieren.
Er war plötzlich in ihrer Tür aufgetaucht, und sie zuckte zusammen, als er sie ansprach. Es ärgerte sie, dass sie ihn nicht hatte kommen hören. Dass sie überrascht worden war. Doch sie sagte nichts.
«Hallo», antwortete sie. «Was führt dich denn hierher?»
«Du. Und was hält dich hier fest? Warum gehst du nicht ans Telefon?» Er schien besorgt, vielleicht auch ein bisschen verärgert. Er kam herein, doch er setzte sich nicht.
«Ich hatte eine Verhandlung, das weißt du doch.
Ich musste das Urteil abwarten.» Die Antwort war nur teilweise richtig. «Ich habe dich zurückgerufen und dir eine Nachricht hinterlassen.»
«Ja, die habe ich bekommen. Herzlichen Glückwunsch zu dem Schuldspruch.» Dann wurde seine Stimme etwas sanfter. «Aber es sieht dir nicht ähnlich. Es sieht uns nicht ähnlich. Ich habe in letzter Zeit kaum was von dir zu sehen bekommen, und seit drei Tagen haben wir kein Wort miteinander gesprochen. Was ist los mit uns?»
«Du bist im Stress, ich bin im Stress, Dominick.
Ich schätze, uns ist die Zeit davongerannt.» Wenn er abends nach Hause kam, schlief sie schon.
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