Morpheus #2
umgebracht. Ich habe meine Arbeit getan, und ich habe eine Entscheidung getroffen. Das kleinere Übel. Sie fragen, ob es mir egal ist?» C. J. lehnte sich in ihrem Sessel vor, die Hände auf dem Tisch, ihr Blick fest auf Lourdes gerichtet. Sie zwang sie, mit eigenen Augen zu sehen, was Worte nie angemessen beschreiben konnten – die Wunden, die Narben. «Was glauben Sie?
Wie könnte es mir egal sein?»
«Sie versuchen, sich zu rechtfertigen», sagte Lourdes kühl.
«Und Sie versuchen, Tatsachen zu leugnen», sagte C. J. und lehnte sich wieder zurück. «Vier Polizisten sind tot, Lourdes. Vier Polizisten, falls Sie hier oben keine Zeitung lesen. Was ich von Ihnen wissen will: Stehen Sie in Kontakt mit ihm? Was zum Teufel hat er Ihnen erzählt? Was erzählt er Ihnen über mich?»
Das war es. Ihrer Wut war die Verzweiflung anzuhören, und C. J. wusste, auch Lourdes hatte das bemerkt.
«Einen Moment», sagte Lourdes und hob die Hand. «Warten Sie. Wenn es hier um die Polizistenmorde in Miami geht, ja, ich habe davon gehört.
Aber Sie glauben doch nicht allen Ernstes, Sie können hier in meine Kanzlei kommen, mich beleidigen und mich dann bitten, Ihnen vertrauliche Informationen meines Mandanten preiszugeben? Damit Sie weiterhin Ihre persönlichen Ängste und Ihr schlechtes Gewissen beruhigen können? Vergessen Sie’s.»
«Ich will weder meine Ängste beruhigen noch Abbitte leisten. Aber ich muss wissen, was hier ge-
spielt wird. Ich muss wissen, ob die Morde etwas damit zu tun haben, Lourdes. Es sterben Menschen.»
«Und das macht Ihnen plötzlich etwas aus?»
«Unschuldige Menschen.»
«Wohl kaum nach dem, was ich gelesen habe.
Scheint, als wären die guten Gesetzeshüter, die im Zeugenstand so unanfechtbar waren, in Wirklichkeit korrupte Junkies gewesen. Das stand da, schwarz auf weiß. Ihre Heiligen haben sich an Drogenkartelle verkauft.»
«Das ist eine der Theorien, die die Task-Force untersucht.» C. J. hielt inne. Es hatte keinen Sinn zu bluffen. Sie musste die Karten auf den Tisch legen, sie musste sehen, was Lourdes auf der Hand hatte. «Sie wussten von dem Anrufer.»
Niemand hatte sich je zu dem Anruf bekannt, der vor mehr als drei Jahren auf dem MacArthur Causeway den Stein ins Rollen gebracht hatte. Statt der Identität des Anrufers nachzugehen, hatte C. J. die Existenz des Tonbands einfach verdrängt, den Anruf als Streich, Verwechslung oder sonst etwas ab-getan. Später dann, nachdem Bantling verurteilt war, nachdem die Wahrheit sie in jener dunklen Todeskammer fast das Leben gekostet hatte, hatte sie geglaubt, der Anrufer wäre tot. Doch jetzt war sie nicht mehr so sicher.
Lourdes lächelte, ein Lächeln, das alles andere als freundlich war. «Der Anrufer? Sie meinen das Beweisstück, das der Jury nie vorgelegt wurde?
Das Beweisstück, das dem Angeklagten vorenthalten wurde?» Sie sah C. J. lange an. Und ohne ein weiteres Wort verstand sie. «Langsam begreife ich, C. J. Sie glauben, da draußen läuft noch ein Killer herum, nicht wahr? Und jetzt haben Sie nicht nur Angst – Sie sind verzweifelt. Es war in Ordnung, solange sie glaubten, der wahre Cupido sei tot und begraben. Doch jetzt gibt es vielleicht noch einen Mörder. Und der hier steht auf Polizisten, nicht wahr?» Sie überlegte einen kurzen Moment: «Oder sollte ich lieber sagen: auf Zeugen?»
«Ich will offen zu Ihnen sein, Lourdes. Ich habe ein Päckchen bekommen. Eine Jadefigur, wie ich sie in meiner Wohnung in New York hatte. Als er…»
Sie schluckte. «Sie wissen, wozu er fähig ist! Ich muss wissen, wem er davon erzählt hat. Jemand, mit dem er gesprochen hat, muss mir die Figur geschickt haben!»
«Ich maße mir nicht an zu wissen, wozu irgend-jemand fähig ist, C. J. Und ich werde Ihnen keine vertraulichen Informationen weitergeben. Drei Jahre lang bin ich vor dem davongelaufen, was ich getan habe, habe versucht, mir einzureden, dass der Zweck die Mittel heiligt. Und jetzt weiß ich, dass das nicht stimmt. Das wissen wir beide.»
«Er ist wahnsinnig, Lourdes. Denken Sie daran.»
«Sie haben mir damals Leid getan, C. J. Es tut mir Leid, was Sie erlebt haben, was er Ihnen angetan hat. Ich hatte Schwierigkeiten, meine Gefühle und meine Arbeit zu trennen. Ich hatte einen Eid geschworen, mich mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln für die Belange meines Mandanten einzusetzen. Ich habe mich in jenem Prozess von meinen Gefühlen leiten lassen und bin mir untreu geworden, weil ich dachte, es würde mich zwar zu
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