Morpheus #2
am Ende gar keine Verbindung zwischen den Polizistenmorden und Bantling.
Bantling hatte im Gefängnis von den Morpheus-Morden gehört, da war sie sich sicher. Vielleicht hatte er ihr die Affenfigur nur ins Büro schicken lassen, um sie aus dem Konzept zu bringen. Als eine Art perverses Souvenir. Normalerweise hielt man im Gefängnis die Post zurück, die er noch immer an sie schrieb, seine kranken, hasserfüllten Briefe.
Doch ab und zu schaffte es doch einer bis zu ihr, der Stempel JUSTIZVOLLZUGSANSTALT quer
über dem Absender; dann zerriss sie den Brief in tausend Stücke, die Hände in den Aufschlägen ihrer Bluse, damit ihre Finger ja nicht in Berührung mit dem Umschlag kamen, den er angefasst und abge-leckt hatte. Ein Überraschungspäckchen sah ihm ähnlich, und es bedeutete nicht unbedingt, dass er von ihrer Verbindung zu den Polizisten wusste. Vielleicht war das alles nur ein grotesker Zufall.
C. J. war sich bewusst, dass sie versuchte, die Dinge schönzureden, den Kopf in den warmen kali-fornischen Sand zu stecken in der Hoffnung, alles würde einfach so verschwinden. Doch sie spürte auch, dass er ihr gut tat. Sie fing sogar an, die Wohnungs- und Stellenanzeigen in der Zeitung zu lesen, und erkundigte sich nach den Bedingungen für eine Anwaltszulassung in Kalifornien. Dominick fehlte ihr schrecklich, doch sie brachte es nicht über sich, das Telefon in die Hand zu nehmen und seine Nachrichten abzuhören, so groß war ihre Angst, Neues vom Stand der Morpheus-Ermittlungen zu hören. Am meisten fürchtete sie sich aber davor, dass Dominick sie zur Rückkehr bewegen könnte.
Sie wusste, seine Stimme zu hören würde alles noch schwerer machen. Lieber blieb sie hier und versteckte sich. Hier kamen Bantlings Briefe nicht an. Hier piepte der Pager nicht. Hier warteten keine Leichen in der Nacht, die später ihre Albträume bevölkerten. Aber natürlich hatte sie gewusst, dass diese Auszeit nicht von Dauer wäre.
Jetzt saß sie mit einem Glas Wein und einer Zigarette auf ihrem Balkon in einem alten Plastikstuhl und beobachtete die Uferpromenade und das wun-derbare tiefblaue Meer, das sich im Hintergrund schäumend brach. Die Sonne ging gerade unter, und am Himmel loderten prächtige rote und violette Streifen, als sie sich mit dem Horizont vereinigten.
Die Mole vor dem Strand wurde von einem Riesenrad erleuchtet; Geschrei und Gelächter und Karus-sellmusik klangen wie eine sommerliche Symphonie zu ihr herüber. Eine herrliche Minute lang nahm sie nichts anderes wahr als den frischen Wein auf ihrer Zunge, den Duft des Meeres und den Klang der Nachtmusik.
In diesem friedvollen Moment beging sie den Fehler, ihre Mailbox abzuhören. Sie hatte drei Nachrichten – zwei von Jerry Tigler und eine von Rose Harris, ihrer Kollegin bei der Major Crimes Unit und Bantlings Anklägerin im Prozess um die anderen zehn Cupido-Opfer. Beide baten C. J. so schnell wie möglich zurückzurufen. Beide klangen sehr aufgeregt.
C. J. ahnte, worum und um wen es ging. Sie hätte die Anrufe ignorieren sollen. Sie hätte just in diesem Moment ihre Entscheidung treffen und in Kali-
fornien ein neues Leben beginnen sollen, koste es, was es wolle.
Doch als sie Tiglers Privatnummer wählte, wusste sie, dass die Schonzeit vorbei war. Die große Flucht vor der Realität war zu Ende.
Miami rief sie zurück nach Hause.
ACHTUNDVIERZIG
Schon nach dem ersten Klingeln war Jerry Tiglers atemlose Stimme am Apparat. Es war zehn Uhr abends in Florida. Nach seiner gewohnten Schlafengehenszeit. «Hallo?»
«Jerry?»
«C. J. Wo stecken Sie?»
«Unterwegs. Ich habe Ihre Nachricht bekommen.
Was ist los?»
«Wo sind Sie? Den ganzen Tag haben alle versucht, Sie zu erreichen.»
«Es klang wichtig.»
«Haben Sie schon mit Rose gesprochen?»
«Nein, noch nicht.»
«C. J. wir müssen Ihren Urlaub abkürzen. Ich weiß, was Sie, ähm, durchmachen, und es tut mir Leid, dass ich Ihnen das antun muss, aber Sie müssen zurückkommen.»
«Jerry, ich weiß nicht einmal, ob ich überhaupt wiederkomme», antwortete sie langsam.
«Das müssen Sie jetzt. Er hat mit Hilfe der Dreierbestimmung nochmal Berufung eingelegt, C. J.
William Bantling. Cupido. Heute Morgen haben wir es reinbekommen. Rose hat es auf dem Tisch.»
C. J.s Herz klopfte schneller, und sie stürzte den letzten Schluck Wein hinunter, während sie die Sprechmuschel zuhielt, damit er sie nicht hörte. Berufung. Die Dreierbestimmung im Gerichtsjargon, nach den Gesetzen 3.850 und 3.851 der
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