Morphin
auf die Sportmatte wirft, damit man sich danach wieder die Hände reicht.
Ich sehe alles. Ich erzähle nur von manchen, ob mit Grund oder nicht, von anderen dagegen gar nicht.
Also zum Auto. Dzidzia setzt sich ans Lenkrad, du neben sie, und los geht’s.
«Wohin fahren wir?», fragst du.
«Jetzt zu dir. Hast du Warmwasser?»
«Ja.»
«Ich geh in die Badewanne, du besorgst Papiere für Budapest.»
Kein Zögern, keine Zweifel, sie gibt dir einfach einen Befehl und fertig.
Befehl. Prikaz, wird gemacht, Herr Leutnant.
«Korporal Fähnrich Willemann meldet sich zum Befehl, Herr Leutnant!», hast du gerufen, die Hände an der Hosennaht, eher so auf russische Art, nicht in Habtachtmanier, denn die russischen Kavallerietraditionen überwogen in Grudziądz die österreichischen, weil sie reicher waren und eher zu dem passten, was ihr Polen für das Ethos des polnischen Kavalleristen hieltet, denn diesen beiden Arten von Ethos, das polnische und das russische, waren auf demselben Grund von Ehrgefühl und Militäradel gewachsen.
Ich hasse sie. Und du erinnerst dich. Nicht bewusst, darum geht es nicht, nein: Aber all das, Grudziądz, das du nicht wolltest, das aber alle von dir erwarteten, gerade von dir, denn Jacek konnte einfach nur Arzt sein, du jedoch musstest mehr sein, ein Soldat, und wenn Soldat, dann ein Ulan oder Chevauleger. Und weißt du noch, wie stolz alle waren, als du zum ersten Urlaub in Uniform nach Hause kamst, und wie sie dann hinter lauter Glückwünschen ihre Enttäuschung darüber verbargen, dass das zwar ein ehrenvolles Regiment war, das Neunte Ulanen-Regiment ist höchst angesehen, aber alle hatten doch erwartet, dass du, vielleicht mit Hilfe der Adlerin, zu den ersten Chevaulegers kommst, in die Hauptstadt, Mützen rund wie das Sejmgebäude, Ehre, Frauen, Wein und Vaterland.
«Korporal Fähnrich Willemann meldet sich zum Befehl, Herr Leutnant!», hast du geschrien, und Leutnant Żabiński hat dich angesehen, als wollte er dich mit Röntgenstrahlen durchleuchten, und genau so guckt dich jetzt Dzidzia an.
«Sie werden von allen geliebt, was, Willemann?», fragte der Leutnant und kniff die schmalen, zwischen fülligen Wangen und Brauenbogen steckenden Augen zusammen.
«Melde gehorsamst, nicht von allen, die Verlobte des Herrn Leutnant zum Beispiel liebt mich überhaupt nicht, sie liebt ausschließlich den Herrn Leutnant!», schreist du schlagfertig, wie aus der Pistole geschossen, um zu zeigen, dass du einen guten Reflex hast, das gehört zur Tradition des Schindens, witzig und schnell und gefügig und herausfordernd in einem. Wie ein Schuss.
«Still, Herr Willemann», dämpfte der Leutnant deinen Eifer. «Ich werde Sie hier nicht triezen. Ersparen Sie mir diese witzigen Bemerkungen.»
«Jawoll, Herr Leutnant», antwortetest du schon ganz nach Vorschrift.
«Also Sie lieben alle. Gutaussehend wie Dymsza, klug wie ein Professor, reiche Familie aus Warschau, und wie schön er Polnisch spricht. Da hat er also Polnisch schwätzen gelernt. Schießt, reitet, schneidet Weiden, fuchtelt mit der Lanze. Alles. Richtig, Herr Willemann?»
«Jawohl, Herr Leutnant», sagtest du schon mit leichten Befürchtungen.
«Jawohl, jawohl. Aber ich lasse mich nicht so leicht an der Nase herumführen, Herr Willemann. Ich weiß Bescheid. Ich kenne solche wie Sie. Solche wie Sie hatten wir zuhauf, Willemann. Also pass auf, Willemann, mich leimst du nicht.»
«Jawoll.»
Er sah dich scharf an.
«Jawoll, Herr Leutnant», riet er.
«Jawoll, Herr Leutnant.»
«Won.»
Du gingst raus.
Damals gingst du auf den Hof der Reserve in Grudziądz.
Aus der Wohnung gehst du nicht.
Dzidzia und ihre lange Nase.
Dir zittern die Hände.
«Na, was willst du, ha?», fragt sie.
«Dich», antwortest du.
Dzidzia lächelt, wie die Muräne beim Anblick der Sklavenleiber.
«Verpiss dich, Konstanty. Hau ab.»
Das vulgäre Wort in ihrem Mund. Ich gehe, verlasse die eigene Wohnung, rausgeworfen, bin draußen.
Du streifst die Wände des Hauses. Die dünne Schicht Schokolade, wie ein Fettfilm auf dem Wasser, reißt sofort, die Hand dringt tiefer, dort ist es warm, feucht, dort pulsiert etwas, schmatzt, du reißt die Hand heraus.
Kostek, lauf, lauf weg von ihr, geh nicht nach Hause zurück, lauf weg von allem, vor der Weißen Adlerin, vor den Deutschen und den Polen, lauf weg vor deinem Vater, wo ist er denn, Kostek? Lauf aus Warschau weg, robbe durch die Gräben, kriech durch die Wälder, winde dich durch Sümpfe, beiß dich in die
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