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Morphin

Morphin

Titel: Morphin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Szczepan Twardoch
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irgendeiner Kneipe gesessen habe, denn als ich die praktische Ausbildung im Regiment hatte, war er nicht dort, gemeinsam haben wir gekämpft, aber nicht in Schenken oder Gasthäusern.
    Was ist mit ihm, warum hat er sich nicht nach Süden durchgeschlagen, um gegen die Deutschen zu kämpfen, warum läuft er stattdessen hier herum, verrückt, verloren in einem schalgegurteten Mantel, mit einem Buch statt der Waffe?
    Was ist mit ihm passiert, was hat ihn zermahlen?
    Konzentrier dich auf dich, mein Lieber, mein Geliebter, sammle dich. Du musst.
    «Sie verstehen mich, Herr Willemann. Keiner versteht mich, aber Sie schon.»
    «Herr Rittmeister», sagst du. «Herr Rittmeister, steigen Sie in mein Auto, ich helfe Ihnen.»
    «Ich kann nicht zu Ihnen ins Auto steigen. Das ist nicht meine Geschichte. Ich heiße Jan Chochoł und bin der letzte König von Polen», antwortet er.
    Er wendet sich ab und drängelt sich durch den kleinen Menschenauflauf und geht, nein, läuft davon, rennt los, die Holzschuhe klappern wie beschlagen, klapp klapp klapp im Trab, marsch übers Straßenpflaster, kleine und große Pfützen ringsum, wenn die Ulanentrompete ruft, klapp klapp klapp übers Straßenpflaster.
    Da ist er davongaloppiert, der Rittmeister Chochoł, dorthin, wo er herkam.
    Eure Begegnung war kein Zufall, denn nichts ist Zufall, weil alles Zufall ist. Und niemals wird dich dieser kleine, quälende Gedanke verlassen: Warum er, warum der Rittmeister, der Führer einer MG -Schwadron?
    «Wie zielst du denn, du patentierter Idiot, hä?», schreit Rittmeister Chochoł, schreit es unter deutschem Feuer, stößt den Richtschützen vom schweren MG weg, das breitbeinig kauert wie ein furchtbares Insekt. Was für ein Befehl war das?
    Jeder andere hätte gesagt: «Du orthodoxe Filzlaus du Saujude stinkender Posener Schweinearsch Fischficker schamloser Hurensohn fettes Schwein, wie zielst du?», aber Rittmeister Chochoł sagt immer nur «patentierter Idiot» und schubst den Idioten vom Geschütz weg, beseitigt die Ladehemmung, du guckst wie hypnotisiert, die runde Brille des Rittmeisters Chochoł und seine konzentrierten, gründlichen Finger.
    «Fähnrich Willemann! Wie beseitigt man eine Ladehemmung bei einem Maschinengewehr Baujahr dreißig?», brüllt Wachtmeister Ziębala, und das ist auf der Reservefähnrichschule in Grudziądz, woanders, wieder woanders, wo bist du also, Kostek, ist Oktober, September oder April?
    Die Zeiten verflechten sich zu einem Zopf, aber nur dir, denn ich sehe alles unverflochten wie auf einem geraden Band, und darauf bist du gleichzeitig dort und hier und bist du damals und jetzt.
    «Gewehr verriegeln, mit der rechten Hand den Sperrriegel des Verschlussdeckels zum Griff schieben, mit der linken den Boden des Visiers greifen, Deckel der Verschlusskammer öffnen», schreist du stramm, wie es sich für eine Pistole gehört.
    «Und weiter?», fragt Wachtmeister Ziębala.
    «Zweimal den Verschlusshebel nach hinten ziehen, prüfen, ob die Patronenkammer leer ist, den Gurt herausnehmen. Dann den Deckel der Verschlusskammer schließen und die Nadel durch Drücken des Abzugs lösen. Die Waffe sichern, indem man mit dem Daumen der linken Hand den Sicherungshebel unterhalb des Abzugs umlegt.»
    «Und weiter?», fragt der Wachtmeister.
    «Dann laden und auf den Feind halten, Herr Wachtmeister!»
    Und dann vergeht dein ganzes Leben, und es ist Krieg, und du siehst, wie Rittmeister Chochoł – nicht Wachtmeister Ziębala – mit Händen, die nicht zu der Waffe passen, Händen, die keine Waffe halten sollten, bereits die Ladehemmung beseitigt, geladen, zweimal am Hebel gerissen hat und jetzt zielt, die rechte Hand auf der Rückseite der Waffe, die linke auf der Höhentrommel, als bediente er keine Maschine, sondern hielte eine Geige in Händen. Gezielt, Höhe eingestellt und draufgehalten.
    Und jetzt läuft er da klack-klack und in Holzschuhen vor den Warschauern davon. Schon ist er abgebogen und weg, und du bist allein mit dem kleinen Massenauflauf.
    «Meinem Vater haben sie das Auto schon lange stibitzt, die Pollacken noch vorm Krieg. Und du kutschierst hier so rum?», fragt der Jude dich unverschämt.
    Du guckst ihn nur blöde an, was antwortet man einem Menschen, der am Abgrund steht? Wenn ihm Polen das Auto nicht weggenommen hätte, hätte Hitler es getan.
    «Der Jud hat nichts mehr zu melden. Hat unter der Sanacja-Regierung genug geschwätzt», sagt die Madame mit dem Brot in der Tasche zu niemandem. «Aber schon

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